Städtemaut oder Fahrverbote – wie können wir die Innenstädte sauberer machen?

Zwölf Fahrverbote für Dieselfahrzeuge hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bisher vor Gericht durchgesetzt, mit dem Ziel, die Luft in Städten sauberer zu machen. Doch wie wirksam sind Fahrverbote? Retten sie wirklich Leben? Und sind sie überhaupt ein sinnvolles Mittel, um die Umweltbelastungen und Folgeschäden durch den stetig zunehmenden Verkehr einzudämmen? Fest steht: Stickoxide, Feinstaub und Lärm, oft verursacht durch Stau in den Innenstädten, belasten Einwohnerinnen und Einwohner. Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Präsident des RWI Essen spricht sich für eine Städtemaut aus: Sie erfasst mehr als nur Diesel-Fahrzeuge und mit den Einnahmen ließe sich eine Verbesserung der Mobilitätsalternativen finanzieren. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch dagegen hält Diesel-Fahrverbote für die einzig geeignete Maßnahme, um schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass die Grenzwerte für NO2 eingehalten werden.


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„Städtemaut statt Fahrverbote"


Den öffentlichen Verkehr allen Bürgern als kostenlose Dienstleistung zur Verfügung zu stellen, scheint auf den ersten Blick eine naheliegende Lösung zu sein, um die Städte vom wachsenden Autoverkehr zu entlasten und die damit verbundenen Probleme – allen voran die Emission von Luftschadstoffen, Lärm und CO2 – zumindest zu verringern. Als bereits vorhandenes und in vielen Städten gut ausgebautes Verkehrsangebot könnte der ÖPNV, so die Erwartungen, spürbar dazu beitragen, um den Umfang an motorisiertem Individualverkehr auf der Straße zu reduzieren. Aber kann der öffentliche Verkehr das überhaupt leisten? Und was bedeutet es, wenn die Kosten für den Fahrschein als Hürde für die Nutzung des öffentlichen Verkehrs wegfallen?

Die Konkurrenz zwischen ÖPNV und Auto ist ein Klassiker in der Verkehrs- und Mobilitätsforschung, die den Gründen für Entscheidungen bei der Verkehrsmittelwahl nachgeht. Das Auto ist in der Mehrzahl der Fälle der Gewinner: Es liefert ein 24/7-Mobilitätsversprechen, indem es quasi immer zur Verfügung steht und seine Nutzer (in der Mehrzahl der Fälle) von Tür zu Tür bringt. Und mit dem Auto ist man meist schneller als mit dem Bus oder der Straßenbahn. Jüngere Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Differenz in den meisten Städten in Deutschland tatsächlich so vorhanden ist.

Hoher materieller Wohlstand erlaubt eine hohe Mobilität. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Mehr und mehr kommt es deswegen in Städten zur Ballung von verkehrsbedingten Problemen wie Staus und Lärm sowie Feinstaub und Stickoxiden. Zwar sind die von Menschen verursachten Emissionen von Feinstaub und Stickoxiden in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Doch werden die gesetzlich festgelegten Grenzwerte punktuell überschritten. Der Verkehr ist dabei für rund 40 Prozent der Stickoxid-Emissionen verantwortlich.

Davon wiederum entfallen rund 90 Prozent auf Diesel-Fahrzeuge. Im internationalen Vergleich ist in Deutschland der Anteil der Diesel-Fahrzeuge sehr hoch, begünstigt nicht zuletzt durch steuerliche Vorteile. Dennoch wäre es falsch, die Debatte allein auf den Verkehr oder gar auf Diesel-Fahrzeuge zu verengen. Dieselmotoren verursachen zwar mehr Stickoxid-Emissionen als andere Antriebsformen, aber sie führen nicht mehr als andere zu Staus, Lärm oder Feinstaub. Etwa 85 Prozent des verkehrsbedingten Feinstaubs werden durch Aufwirbelungen und Abriebprozesse verursacht.

All diese verkehrsbedingten Probleme sind lokaler Natur und erfordern daher lokale Lösungen. Bessere Technik zur Senkung der Stickoxid-Emissionen muss Teil einer solchen Lösung sein. Doch bietet sie kein Allheilmittel: Die aktuell diskutierten Anreize zur Umrüstung oder zum Tausch bestehender Diesel-Fahrzeuge betreffen weder den Löwenanteil der lokalen Umweltbelastungen, noch erfassen sie deren Quellen auch nur annähernd vollständig. Fahrverbote für bestimmte Schadstoffklassen sind ähnlich untauglich.

© RWI/Sven Lorenz

  • Christoph M. Schmidt
  • RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Wirtschaftspolitik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Darüber hinaus ist er Präsidiumsmitglied von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Im Projekt ESYS engagiert er sich als stellvertretender Vorsitzender des Direktoriums.

Eine Städtemaut fördert die Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel

Weit besser wäre es, eine Städtemaut einzurichten, die mehr erfasst als nur Dieselautos. Ihre Höhe könnte sich jeweils nach der lokalen Belastung, der Tageszeit und den Emissionen des Fahrzeugs richten. Eine Städtemaut beteiligt die Verursacher der Emissionen an deren Kosten und macht die Nutzung emissionsärmerer Verkehrsmittel attraktiver. Weltweit haben es einige Städte bereits vorgemacht: Der Verkehr hat sich in den Stadtteilen mit einer Städtemaut in Singapur, London, Mailand, Göteborg und Stockholm erwartungsgemäß stark reduziert.

Eine Welt ohne jede Einschränkung des Verkehrs wird es künftig ohnehin nicht mehr geben. Nicht zuletzt die Verteilungswirkungen sprechen darum eindeutig dafür, sich dabei für eine Städtemaut und gegen Fahrverbote zu entscheiden: Einem Fahrverbot werden letztlich nur Vermögende ausweichen können. Verbote bürden die Kosten der Linderung verkehrsbedingter Probleme vollständig den betroffenen Fahrzeughaltern auf. Bei der Maut hingegen hätten Fahrzeughalter die Möglichkeit, die von der Maut betroffenen Fahrzeuge weiterhin zu nutzen. Zudem ließen sich die Mauteinnahmen zur Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs einsetzen – Fahrverbote eröffnen diese Möglichkeit nicht.

„Fahrverbote für Dieselfahrzeuge “


Als der Vorschlag der Bundesregierung eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) an Fasching 2018 öffentlich wurde, dachte ich zunächst, es könnte sich um einen Scherz handeln, da sich gerade der Bund in den letzten Jahren immer mehr aus der Finanzierung des ÖPNV herausgezogen hat. Dennoch habe ich mich mit dem Vorschlag auseinandergesetzt, auch wenn Nürnberg darüber nicht allein entscheiden könnte, sondern eine Regelung im Verkehrsverbund erforderlich wäre.

Auf den ersten Blick erscheint die Idee reizvoll, könnte dies doch sehr viele Bürgerinnen und Bürger zum Umstieg auf Busse und Bahnen bewegen und dazu beitragen, die Lärm- und Schadstoffbelastung in Nürnberg zu reduzieren.

Doch auf den zweiten Blick ist ein Nahverkehr zum Nulltarif mit etlichen Problemen verbunden. Ein qualitativ hochwertiges ÖPNV-Angebot kostet: Busse und Bahnen sollen in kurzem Takt fahren, das Netz soll dicht sein, die Fahrzeuge sollen sauber und bequem sein, dazu klimatisiert und am besten noch mit WLAN ausgestattet. Das Personal soll aber auch anständigen Lohn erhalten. Das alles kann nicht vollständig über den Ticketverkauf finanziert werden. Zudem gibt es einen erheblichen Investitionsstau. Unsere U-Bahnanlagen sind in die Jahre gekommen und müssen erneuert werden, gleiches gilt für die Fahrzeuge. Außerdem wollen wir als wachsende Stadt das Schienennetz weiter ausbauen, etwa eine U-Bahnlinie an die Stadtgrenze zu unseren Fürther Nachbarn oder die Straßenbahn Richtung Erlangen sowie in den Nürnberger Süden. Die Linienbusse sollen sukzessive auf alternative Antriebe umgestellt werden. Wir müssen also viel Geld in die Hand nehmen, um unseren Nahverkehr auch stadtgrenzüberschreitend fit zu machen. 

Unsere Stadtluft ist zu dreckig und macht krank. Der von der EU 2010 zum Gesundheitsschutz eingeführte Luftschadstoffgrenzwert für Stickstoffdioxid ( NO2) wird an der Hälfte der Messstellen in unseren Städten überschritten. Ursache dafür sind vor allem die Stickoxid-Abgase von Diesel-Pkw. Mit jedem Atemzug nehmen wir den Schadstoff NO2 in unseren Körper auf. Gerade im Winter, wo fast alle von uns getesteten Diesel-Pkw die Abgasreinigung abschalten, sind die negativen Wirkungen massiv und treffen vor allem Asthmatiker, Atemwegsgeschädigte, Kindern und ältere Menschen. Erst kürzlich hat die Europäischen Umweltagentur die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch NO2 erneut auf 13.100 für das Jahr 2015 erhöht.

Die Politik nimmt das Problem nicht ernst, obwohl es ihr viel länger bekannt ist, als uns lieb sein kann. Diverse Diesel-Gipfel sollten Lösungen bringen, doch das ist nicht in Sicht. Die beschlossenen „Software-Updates“ werden die NO2-Belastung maximal um zwei Prozent verringern, das ergeben Berechnungen der DUH und mit viel mehr rechnet auch das Umweltbundesamt nicht. Kaufprämien sollen ausgerechnet Euro 6 Diesel auf den Markt bringen, die doch Stickoxidemissionen weit oberhalb des Grenzwertes aufweisen. Fördermittel werden auf sogenannte „Intensivstädte“ begrenzt, obwohl die Luft nicht nur dort schlecht ist.

Jürgen Resch

© DUH/Steffen Holzmann

  • Jürgen Resch
  • Deutsche Umwelthilfe (DUH)

Der Umweltaktivist ist seit 1988 Bundesgeschäftsführer der DUH. Zudem ist er Mitbegründer der Stiftung Euronatur, des Global Nature Fund und der Bodensee-Stiftung.

Wir klagen für die saubere Luft. Diesel-Fahrverbote sind die einzige geeignete Maßnahme, um schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass die Grenzwerte für NO2 eingehalten werden und wir endlich in den Belastungsgebieten saubere Luft atmen können. Wir fordern geltendes Recht ein. Aus diesem Grund geben uns die Gerichte in allen bislang stattgefundenen zwölf Verhandlungen Recht. Fahrverbote für Diesel, die auf der Straße den Euro 6 Grenzwert nicht einhalten, sind unausweichlich, wenn keine anderen geplanten Maßnahmen eine Einhaltung ebenso rasch sicherstellen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Grundsatzurteil im Februar 2018 bestätigt.

Den verantwortlichen Behörden ist die Lage seit Jahren bewusst. In einem Plan von 2011 sind Maßnahmen zu lesen, die bis heute nicht umgesetzt sind, etwa die Beendigung des Dieselsteuerprivilegs. Es liegt in der Hand der Bundesregierung und der Autohersteller, Fahrverbote zu vermeiden; die Technologie für eine Hardware-Nachrüstung der betroffenen Betrugsdiesel ist vorhanden. Bis es soweit ist, werden wir um Fahrverbote nicht herumkommen.

Auflagen in hochbelasteten Bereichen für Fahrzeuge, die besonders zur Belastung beitragen, können dabei nur ein erster Schritt sein hin zu einer Verkehrswende, die in den Städten nachhaltige Mobilitätssysteme voranbringt. Denn auch aus Klimaschutzgründen müssen wir handeln und uns demnächst von fossilen Kraftstoffen verabschieden. Eine deutliche Reduktion des motorisierten Individualverkehrs reduziert auch die wachsende Lärmbelastung (auch Lärm mach krank!), schafft freie Räume und erhöht die Lebensqualität.

ESYS-Debatte I Januar 2019