Leitlinien & Grundsätze
Leitlinien für eine wirksame Energie- und Klimapolitik
Die Energiewende ist DIE Chance, unsere natürlichen Lebensgrundlagen durch einen nachhaltigen Klimaschutz zu erhalten. Sie ist zugleich der Einstieg in eine globale Technologiewende. Doch dazu ist ein Neustart in der Klima- und Energiepolitik nötig, der konsequent am Ziel der Treibhausgasneutralität ausgerichtet ist. Mit einer kleinteiligen Weiterentwicklung aus dem bestehenden Rahmen heraus wird der Umbau des Energiesystems in der erforderlichen Tiefe und im erforderlichen Tempo nicht gelingen. Welche Leitlinien für eine zukunftsorientierte Energiepolitik entscheidend sind und mit welchen Maßnahmen die neue Bundesregierung die Energiewende auf die neuen Klimaziele ausrichten kann, zeigt das Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ in diesem Impulspapier auf.
Gelingt es nicht, den Umbau der Energieversorgung in den nächsten Jahren in Deutschland und weltweit entscheidend voranzubringen, droht der menschengemachte Klimawandel die Lebensgrundlagen unserer Zivilisation zu zerstören und unsere gewohnte Umwelt radikal und lebensbedrohlich zu verändern. Die Folgen für unsere Gesellschaften sind unabsehbar. Dies ist wohlgemerkt kein alarmistisches Katastrophenszenario, sondern weltweiter wissenschaftlicher Konsens. Der einzige Schutz vor dieser Bedrohung ist der vollständige Ausstieg aus fossilen Energien und eine globale Energiewende hin zu den reichlich verfügbaren erneuerbaren Energien – und dies innerhalb der kürzestmöglichen Zeit.
Die jetzt anstehende Legislaturperiode bietet die letzte Chance, die entscheidenden Weichen zu stellen. Später kann der Kurs Richtung Klimaneutralität nur zu erheblich höheren Kosten gelingen – mit ungewissem Ausgang. Die neue Bundesregierung muss mit einer Neuausrichtung der Energiepolitik den Grundstein für einen wirksamen Klimaschutz in Deutschland und Europa legen. Dabei sind folgende Grundsätze wichtig:
- Klimaschutz priorisieren: Trotz einer Vielzahl an Maßnahmen erfüllt Deutschland seit Jahren wiederholt die nationalen und europäischen Klimaziele nicht. Viele Maßnahmen greifen zu kurz oder werden nicht konsequent durchgesetzt, während Subventionen für klimaschädliche Technologien weiter bestehen. Für eine wirksame Klimapolitik braucht es politischen Willen in einem bislang nicht erkennbaren Ausmaß.
- Klimapolitik weltweit vorantreiben: Klimaschutz kann nur global gelingen. Deutschland sollte seine Bemühungen für eine europäische und globale Zusammenarbeit verstärken und nicht zuletzt andere Länder auch finanziell unterstützen. Dies darf aber nicht als Vorwand dienen, Klimaschutzanstrengungen im eigenen Land zu vernachlässigen. Denn in wenigen Jahrzehnten müssen alle Länder klimaneutral sein.
- Das gesamte System im Blick behalten: Eine ganzheitliche Klimapolitik setzt einen Gesamtrahmen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie wird systemisch geführt, von Regierung und Parlament zentral verantwortet und setzt auf die Entwicklung relevanter Wissenschaft und Technologie als Querschnittsaufgabe und Quelle innovativer Lösungen. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie am Gesamtziel ausgerichtet wird und sich nicht in Sektorzielen und Einzelmaßnahmen verliert.
- Klimapolitik und Sozialverträglichkeit nicht gegeneinander ausspielen: Klimapolitische Maßnahmen können insbesondere ärmere Haushalte vor große Herausforderungen stellen. Richtig gestaltet kann Klimapolitik die sozialen Folgen jedoch ausgleichen. Zudem wären die gesamtwirtschaftlichen und ‑gesellschaftlichen Folgen eines ungebremsten Klimawandels ungleich höher.
- Ehrlich machen: Ein konsequenter Klimaschutz wird unsere Lebensgewohnheiten verändern und die Wirtschaft vor große Herausforderungen stellen. Neue Märkte werden entstehen, alte – auch traditionsreiche – Geschäftsmodelle werden weichen. Die Auswirkungen von Maßnahmen auf Haushalte und Unternehmen sollten nicht verschwiegen, sondern offen kommuniziert werden.
Handlungsfelder zusammengefasst
Verantwortung übernehmen und ganzheitliche Lösungen entwickeln
Um die Energiewende auf allen Ebenen voranzubringen, sollte sich Deutschland mit aller Kraft für den EU Green Deal einsetzen, weltweit ärmere Länder beim Klimaschutz unterstützen, relevantes Wissen gezielt zusammenführen, systematisch nutzen und erweitern, und mit den Beteiligten gemeinsam Lösungen entwickeln.
Fossile Energien verdrängen
Der CO2-Preis sollte als zentrales Instrument zur Verdrängung fossiler Energieträger gestärkt werden. Gleichzeitig sollte der Staat Investitionen in notwendige Infrastrukturen wie Wasserstoff- und Stromnetze, Ladestationen und Langzeitspeicher, intelligent unterstützen.
Erneuerbare Energien schneller ausbauen
Um die Klimaziele zu erreichen, ist ein jährlicher Ausbau der Wind- und Photovoltaikanlagen von 15 bis 25 Gigawatt unabdingbar – etwa das Drei- bis Vierfache der letzten Jahre. Dafür müssen die Bundesländer ausreichend Flächen zur Verfügung stellen, das Planungs- und Genehmigungsrecht reformiert und Anwohner*innen frühzeitiger eingebunden werden.
Grünen Strom stärker in die Sektoren Wärme und Verkehr bringen
Um die Emissionen im Wärme- und Verkehrssektor zu senken, muss Strom wettbewerbsfähiger werden. Wichtigster Schritt dafür ist die Abschaffung der EEG-Umlage. Gleichzeitig müssen Speicher gebaut, Flexibilität belohnt sowie ökologisch und ökonomisch sinnvolle Energieeffizienzpotenziale genutzt werden.
Stromversorgung fit für die Zukunft machen
Das Stromsystem der Zukunft ist vernetzter, dezentraler, flexibler und partizipativer. Für eine weiterhin sichere Stromversorgung ist es nötig, das System technisch und regulatorisch auf Erneuerbare-Energie-Anlagen auszurichten, die Stromnetze viel stärker auszubauen, die Netze zu digitalisieren und Langzeitspeicher zu errichten.
Klimaneutrale Industrie auf den Weg bringen
Die Bundesregierung kann den notwendigen Wandel in der Industrie entscheidend voranbringen, indem sie: einen wirksamen CO2-Preis etabliert, CO2-Differenzverträge für Unternehmen einführt und eine internationale Allianz für den Klimaschutz anstrebt, die vor allem China und die USA mit einschließt.
Wasserstoff: sinnvoll einsetzen, Chancen nutzen
Als Energieträger und Rohstoff spielt Wasserstoff eine Schlüsselrolle für eine klimaneutrale Weltwirtschaft. Um langfristig die Versorgung zu sichern, müssen binnen kürzester Zeit globale Märkte und Infrastrukturen aufgebaut, Partnerschaften auf Augenhöhe geschlossen und die Einsatzmöglichkeiten sinnvoll priorisiert werden.
Bioenergie systemdienlich einsetzen
Eine umfassende Biomassestrategie muss sicherstellen, dass Biomasse dort eingesetzt wird, wo sie den größten Nutzen bringt, etwa in der Industrie und als flüssige Treibstoffe im Luft- und Schiffsverkehr. Statt Energiepflanzen sollten zukünftig Rest- und Abfallstoffe genutzt werden.
Rohstoffe für die Energiewende sichern und nachhaltig nutzen
Um den hohen Rohstoffbedarf decken zu können, der durch die Energiewende entsteht, sollten der Rohstoffverbrauch zur Herstellung von Produkten gesenkt, neue Rohstoffquellen erschlossen und Recyclingquoten erhöht werden.
Negative Emissionen: CO2 aus der Atmosphäre entnehmen
Um unvermeidbare Emissionen, vor allem aus der Landwirtschaft und Teilen der Industrie, auszugleichen, müssen Verfahren zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre gesellschaftlich diskutiert, erforscht und in die Anwendung gebracht werden.
Klimapolitik transparent und gerecht gestalten
Um Akzeptanz und Unterstützung für die Energiewende zu sichern, gilt es, Klimapolitik transparent zu kommunizieren, entstehende Belastungen ärmerer Haushalte aufzufangen und unterschiedliche Lebensrealitäten zu berücksichtigen.
Illustrations by Ellery Studio
Verantwortung übernehmen
Verantwortung übernehmen und ganzheitliche Lösungen entwickeln
Warum ist das wichtig?
Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit, auf die die globale Gemeinschaft der Staaten bisher nicht angemessen reagiert. Sie hat sich zwar ambitionierte Klimaziele gesetzt, aber keine hinreichenden Weichen gestellt, um sie einzuhalten. Letzteres wird nur möglich sein, wenn Klimaschutz auf allen Ebenen als lebenswichtige und gemeinschaftliche Aufgabe in das Zentrum des Entscheidens und Handelns rückt: Bürger*innen, Kommunen und Unternehmen, Bund, Länder und EU sowie nicht zuletzt die globale Staatengemeinschaft müssen an einem Strang ziehen, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Was müssen wir tun?
Europäisch und global koordinieren
Die Energiewende braucht eine neue Entscheidungskultur. Die Bundesregierung selbst sollte die zentrale Verantwortung für dieses Projekt übernehmen. Dafür muss sie die notwendigen Strukturen schaffen, sich für eine ambitionierte Ausgestaltung und Umsetzung des European Green Deal einsetzen und gemeinsam mit der EU global handeln. Die europäischen Industrieländer haben einen erheblichen Teil der historischen Emissionen verursacht und haben daher nicht nur die Verpflichtung, sondern auch das Potenzial, zu global wirksamen Lösungen beizutragen. Möglich ist dies, indem Deutschland und die EU ärmere Länder beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen – mit innovativen Technologien, Infrastrukturen, Modelllösungen, Projekten und erheblichen finanziellen Mitteln. Eine wissenschaftsbasierte, unabhängige Monitoringkommission könnte den Fortschritt der globalen Energiewende evaluieren, einheitliche Bewertungsmaßstäbe einführen und übertragbare Best-Practice-Beispiele für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Handlungsoptionen identifizieren.
Entscheidungen gemeinsam treffen, lokales Handeln ermöglichen
Nur eine globale Energiewende kann wirksam zum Klimaschutz beitragen. Konkrete Maßnahmen können und müssen jedoch auf allen Ebenen ergriffen und umgesetzt werden: vom Aufbau globaler und europäischer Märkte für erneuerbare Energien über überregionale und nationale Stromnetze bis hin zu neuen Anlagen und Effizienzmaßnahmen in Kommunen, Städten, Quartieren, Betrieben und Haushalten. Um die Mitgestaltung und Kreativität von Bürger*innen und Unternehmen vor Ort zu fördern, sollten diese frühzeitig in Veränderungsprozesse eingebunden werden und echte Möglichkeiten zur Mitbestimmung bekommen.
Heute in klimaneutrale Infrastrukturen investieren
Ladesäulen für Elektroautos, Wasserstoff-Pipelines, intelligente Verteilernetze – das zukünftige Energiesystem braucht andere Infrastrukturen als das heutige. Der Staat sollte diesen Wandel aktiv vorantreiben, indem er den Ausbau klimaneutraler Infrastrukturen unterstützt sowie klimaschädliche Technologien und Infrastrukturen weder direkt noch indirekt fördert. Dabei darf nicht allein entscheidend sein, ob Infrastrukturen unter heutigen Bedingungen kurzfristig wirtschaftlich sind, sondern ob sie nötig sind, um die Klimaziele kosteneffizient zu erreichen. Das Ziel Klimaneutralität 2045 schränkt auch den Spielraum für Brückentechnologien drastisch ein, wie zum Beispiel Erdgas- statt Ölheizungen und Hybrid- anstelle von Elektrofahrzeugen. Diese senken zwar Emissionen gegenüber heute, nutzen aber weiterhin fossile Brennstoffe. Das Ziel, einen neuen Weltmarkt aufzubauen, verbunden mit dem Export der notwendigen Technologien wird zudem unterstützt, indem in Deutschland frühe Absatzmärkte geschaffen werden.
Fossile verdrängen
Fossile Energien verdrängen
Warum ist das wichtig?
Etwa 80 Prozent der Treibhausgasemissionen stammen aus der Verbrennung von Kohle, Erdölprodukten und Erdgas. Diese schnell zu verdrängen, ist der größte Hebel für effektiven Klimaschutz. Ein zentrales Instrument dafür ist der CO2-Preis, denn er macht den Einsatz fossiler Rohstoffe gegenüber klimaschonenden Alternativen weniger attraktiv. Zugleich braucht es emissionsarme Alternativen. Die Wirkung des CO2-Preises sollte daher durch weitere Maßnahmen gestützt und beschleunigt werden. Der Instrumentenmix sollte einfach und transparent sein, eine verlässliche und langfristige Planungsgrundlage bieten und regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob er ausreicht, die Klimaziele zu erreichen.
Was müssen wir tun?
Europäische Preissysteme aufeinander ausrichten
Im Rahmen des Europäischen Emissionshandels (EU-ETS) unterliegen bisher Kraftwerke und die energieintensive Industrie einem EU-weiten CO2-Preis. Mit dem „Fit for 55“-Paket plant die EU-Kommission nun, ein zweites Handelssystems für Emissionen aus dem Gebäude- und Verkehrssektor einzuführen. Deutschland sollte darauf drängen, schon jetzt die Zusammenlegung beider Emissionshandel und den Übergang in ein übergreifendes EU-weites System zu planen, um Erwartungen zu stabilisieren und eine langfristig effiziente Emissionsminderung zu erreichen. Die Gesamtmenge der CO2-Zertifikate muss den Klimazielen entsprechend festgelegt und die Berechnung transparent dargelegt werden.
Nationale CO2-Bepreisung anpassen
In Deutschland gibt es bereits seit 2021 einen CO2-Preis für Kraft- und Heizstoffe. Spätestens mit Einführung eines zweiten EU-Emissionshandels im Jahr 2026 muss allerdings über die Zukunft der deutschen CO2-Bepreisung nachgedacht werden, um Doppelbepreisungen zu verhindern. Da sich der CO2-Preis im neuen EU-Handelssystem an den neuen Klimazielen orientieren wird, dürfte er über dem bislang geplanten deutschen Preispfad liegen. Dieser sollte deutlich angehoben werden, um frühzeitige Investitionen in emissionsarme Technologien anzuregen und potentielle Preissprünge beim Systemwechsel zu vermeiden.
Subventionen für fossile Energieträger abbauen
Direkte und indirekte Subventionen fossiler Energieträger senken die Energiepreise und untergraben die Wirkung des CO2-Preises. Diese Subventionen sollten so schnell wie möglich abgeschafft werden. Die EU plant bereits die Einführung einer Steuer auf Kerosin und eine Überarbeitung der Energiesteuerrichtlinie nach Umwelt- und Klimagesichtspunkten. Entsprechend sollten nationale Vergünstigungen, beispielsweise die Steuerbegünstigungen von Diesel und das Dienstwagenprivileg, abgeschafft werden.
Wirksame staatliche Rahmenbedingungen setzen und CO2-Preis durch andere Instrumente ergänzen
Weitere Instrumente sind erforderlich, um die Wirkung des CO2-Preises gezielt zu unterstützen. Insbesondere muss erreicht werden, dass Unternehmen und Bürger*innen nicht mehr in emissionsintensive Anlagen und Güter mit langer Lebensdauer investieren, sondern in klimaneutrale Alternativen – auch wenn das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wirtschaftlich ist oder erscheint. Instrumente, die die Entwicklung und Einführung klimaschonender Alternativen fördern, können die Transformation der Wirtschaft effizient unterstützen, wenn sie bei Erreichung ihrer Ziele automatisch auslaufen. Gleiches gilt für eine staatliche Kofinanzierung klimafreundlicher Infrastrukturen, etwa von Wasserstoffleitungen, Schienen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Technologiestandards wie die europäischen Flottenverbrauchsgrenzen für Neufahrzeuge und Gebäudestandards können den Übergang zu klimaschonenden Technologien unterstützen, bis der CO2-Preis ausreichend hoch ist.
Erneuerbare Energien ausbauen
Erneuerbare Energien schneller ausbauen
Warum ist das wichtig?
Bereits heute stammt knapp die Hälfte des in Deutschland erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien. Doch für ein klimaneutrales Energiesystem muss grüner Strom den gesamten Strombedarf decken. Gleichzeitig wird der Strombedarf stark wachsen: Im Gebäude- und Verkehrssektor kommen zunehmend Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge zum Einsatz. Industrieprozesse werden große Mengen grünen Stroms benötigen, um fossile Rohstoffe zu ersetzen. Und auch die Herstellung klimaneutraler stofflicher Energieträger, zum Beispiel Wasserstoff für die Stahlherstellung, Kohlenwasserstoffe als Erdölersatz und synthetische Kraftstoffe für den Flug- und Schwerlastverkehr, braucht Strom. Vor allem Solarenergie sowie Windenergie an Land und auf See verfügen hierzulande noch über große ungenutzte und kostengünstige Potenziale, die es nun zu erschließen gilt. Da Wasserkraft, Bioenergie und Geothermie sie lediglich in kleinerem Umfang ergänzen können, müssen die Kapazitäten an Windenergie- und Photovoltaikanlagen bis 2045 auf das Vier- bis Sechsfache der heutigen ansteigen – selbst wenn in erheblichem Umfang grüne Energieträger importiert werden und große Fortschritte bei der Energieeffizienz gelingen.
Was müssen wir tun?
Gesetzliche Ausbaukorridore deutlich erhöhen
Für die neuen Klimaziele und die steigende Nachfrage nach grünem Strom im Wärme- und Verkehrssektor ist ein jährlicher Ausbau von 15 bis 25 Gigawatt notwendig. Das ist deutlich mehr als die 6 Gigawatt an Zubau aus dem Jahr 2019, erscheint aber grundsätzlich machbar: Deutschland hat in der Vergangenheit bereits bis zu 10 Gigawatt Wind- und Photovoltaikanlagen in einem Jahr zugebaut. Der erwartete Anstieg der Nachfrage nach grünem Strom muss sich in den gesetzlich festgelegten Ausbaupfaden widerspiegeln. Um die Ziele zu erreichen, sollten Bundesländer und Kommunen verpflichtet werden, zeitnah ausreichend Flächen für den Ausbau zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig sollten die nationalen Ziele in die europäische Gesamtstrategie eingebettet werden.
Flächen klug nutzen
Der Ausbau von Photovoltaik und Windenergie braucht Platz. Konzepte zur Doppelnutzung von Flächen reduzieren den Flächenbedarf und können Flächenkonflikte entschärfen. Möglich sind zum Beispiel Anlagen an Fassaden, auf Parkplatzüberdachungen oder auf bisher ungenutzten Dächern. Auch in der Landwirtschaft ist eine doppelte Nutzung möglich: Solarparks können platzeffizient als Anbau- oder Weideflächen angelegt werden oder als Biotope gestaltet sein und so die Artenvielfalt fördern.
Anwohner*innen aktiv einbeziehen
Der Ausbau der erneuerbaren Energien steht und fällt mit der Unterstützung vor Ort. Sozialwissenschaftliche und verhaltensökonomische Analysen legen nahe: Mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung, ein Ausgleich für Belastungen und eine finanzielle Beteiligung von Kommunen und Anwohner*innen tragen dazu bei, dass Menschen die Änderungen, die die Energiewende mit sich bringt, positiv annehmen und den Wandel aktiv mitgestalten.
Prozesse beschleunigen
Im heutigen Tempo ist der bis 2030 erforderliche Ausbau nicht zu schaffen. Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen dauern aktuell vier bis fünf Jahre. Änderungen im Planungsrecht, frühes Einbinden der Bürger*innen und zusätzliche Mitarbeiter*innen in den zuständigen Planungs- und Genehmigungsbehörden sowie Gerichten können die Prozesse beschleunigen.
Wärme- und Verkehrssektor
Grünen Strom stärker in die Sektoren Wärme und Verkehr bringen
Warum ist das wichtig?
Während die Emissionen in der Stromerzeugung durch den Ausbau von Photovoltaik- und Windanlagen gesunken sind, stagnieren sie im Wärme- und Verkehrssektor. Im nächsten Schritt muss grüner Strom auch in diesen Bereichen fossile Energieträger verdrängen („Sektorenkopplung“). Doch grüner Strom wird auch zukünftig nicht in unbegrenzten Mengen zur Verfügung stehen – weder in Deutschland noch in anderen Ländern. Deshalb ist es wichtig, Strom so effizient wie möglich zu nutzen. Da jeder Umwandlungsschritt Energie kostet, ist es meist effizienter, den Strom direkt zu nutzen, als ihn erst umzuwandeln (zum Beispiel in Wasserstoff). Beispielsweise verbrauchen Elektromotoren und Wärmepumpen wesentlich weniger Energie als Verbrennungsmotoren und konventionelle Heizungen. Durch den Einsatz dieser Technologien kann daher der langfristig durch grünen Strom zu deckende Gesamtenergieverbrauch reduziert werden. Ergänzt werden kann Strom – wo möglich und sinnvoll – durch Wärme aus Tiefengeothermie und Solarthermie.
Was müssen wir tun?
Fairen Wettbewerb zwischen den Energieträgern herstellen
Die Preise, die Haushalte und Unternehmen bezahlen, entscheiden mit darüber, welche Energieträger diese nutzen. Doch das Preissystem ist aktuell verzerrt: Beispielsweise ist Strom deutlich stärker mit Abgaben belastet als Heizöl und Erdgas. Nach der Einführung eines CO2-Preises für den Wärme- und Verkehrssektor durch den Brennstoffemissionshandel ist nun der wichtigste Schritt, die EEG-Umlage abzuschaffen und damit den Strompreis zu senken. Die Förderung von Erneuerbare-Energie-Anlagen sollte dann durch andere Finanzmittel des Staates gewährleistet werden. Dies kann mindestens zu großen Teilen durch die Einnahmen aus der deutschen und europäischen CO2-Bepreisung geschehen. Die nächste Bundesregierung sollte zudem prüfen, die Stromsteuer zu senken. Die Strompreissenkung fördert nicht nur die Nutzung von Strom; gleichzeitig entlastet sie Verbraucher*innen und Unternehmen, und die komplizierten Ausnahmeregelungen der EEG-Umlage würden entfallen. Damit die Preisreform tatsächlich wirkt, sollten insbesondere private Haushalte ausführlich über die Kostenvorteile aufgeklärt werden: Nutzen Verbraucher*innen Strom anstelle von fossilen Energien zum Heizen und in Fahrzeugen, ist dies für sie aufgrund steigender CO2-Preise in Zukunft meist günstiger.
Elektrofahrzeuge, Speicher und Wärmepumpen ausbauen
Emissionsintensive Fahrzeuge und Heizungssysteme, die nach 2030 noch angeschafft werden, müssen vor Ende ihrer technischen Lebensdauer abgewrackt werden – denn in einem klimaneutralen Deutschland 2045 können nur noch klimaneutrale Technologien genutzt werden. Deshalb muss der Anteil von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen ab sofort stark wachsen. Gleichzeitig müssen elektrische Speicher und Wärmespeicher ausgebaut werden, um die schwankende Einspeisung der Erneuerbaren auszugleichen und so zur Versorgungssicherheit beizutragen. Der Staat kann durch finanzielle Zuschüsse bei großen Investitionen und durch gezielte Kofinanzierung der notwendigen Infrastrukturen dieses Wachstum fördern. Auch nicht-monetäre Vorteile wie eigene Fahrspuren und Parkplätze für Elektroautos können während des Übergangs zu klimaneutraler Mobilität hilfreich sein.
Flexibilität belohnen
Neben Speichern sind flexible Verbraucher wie Elektroautos und steuerbare Industrieanlagen notwendig, um die schwankende Einspeisung der Erneuerbaren auszugleichen: Sie können bevorzugt dann laden und arbeiten, wenn gerade viel Strom produziert wird. Die Technologien sind vorhanden, aber es fehlen Geschäftsmodelle und eine ausreichende Digitalisierung. Regulatorische Rahmenbedingungen sollten so angepasst werden, dass Anreize zur Bereitstellung von Flexibilität entstehen, etwa durch zeitabhängige Stromtarife.
Stromversorgung fit machen
Stromversorgung fit für die Zukunft machen
Warum ist das wichtig?
Die Stromversorgung wird vernetzter, dezentraler, flexibler und partizipativer: Wind und Sonne speisen unregelmäßig Strom in die Netze ein, Hausbesitzer*innen, Landwirt*innen und Bürgerenergiegesellschaften tragen mit eigenen Anlagen zur Stromerzeugung bei, und Strom soll innerhalb Europas zunehmend grenzüberschreitend gehandelt werden. Zudem steigt durch neue Verbraucher wie Elektroautos und Wärmepumpen die Nachfrage – der Strombedarf könnte sich dadurch verdoppeln. Dies alles stellt neue Anforderungen an die Infrastrukturen und den Strommarkt. Um weiterhin eine hohe Versorgungssicherheit zu garantieren und die Kosten möglichst gering zu halten, sind grundsätzliche Anpassungen des Stromsystems nötig.
Was müssen wir tun?
Von den erneuerbaren Energien aus denken
Bisher wurde versucht, die erneuerbaren Energien mittels Sonderregeln in das bestehende, von Kohle-, Erdgas- und Kernkraftwerken dominierte System zu integrieren. Da die erneuerbaren Energien mittlerweile fast die Hälfte der Stromerzeugung ausmachen, ist ein Paradigmenwechsel erforderlich: Das Gesamtsystem der Stromversorgung muss technisch, ökonomisch und rechtlich an die Anforderungen einer von Photovoltaik und Windkraft dominierten Stromerzeugung angepasst werden, um den Übergang zu 100 Prozent erneuerbaren Energien schnell und kostengünstig zu schaffen.
Ausbau der Stromnetze vorantreiben
Auch wenn künftig viele dezentrale Anlagen lokal Strom bereitstellen: Ohne Ausbau und Leistungssteigerung der Stromnetze auf allen Spannungsebenen wird die Energiewende nicht gelingen. Denn die Stromnetze müssen die räumlich und zeitlich variable und zunehmende Einspeisung verteilen und ausgleichen. Durch eine starke Vernetzung in Europa können auch regionale Unterschiede in der wetterbedingten Einspeisung genutzt werden, um alle Verbraucher mit Strom zu versorgen. Die Netzausbauplanung muss ab sofort konsequent auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ausgerichtet sein. Das vermeidet wiederholte Nachsteuerungen beim Ausbaubedarf, die zu Vertrauensverlusten in der Bevölkerung führen.
Digitalisierung voranbringen
Um die vielen dezentralen Erzeugungsanlagen, Speicher und Verbraucher zu koordinieren, muss das Energiesystem digitaler werden. Digitalisierung ermöglicht es, Stromerzeugung und ‑verbrauch besser aufeinander abzustimmen und so das Stromnetz zu stabilisieren. Gleichzeitig sind Strategien nötig, die das digitalisierte Energiesystem bestmöglich gegen Softwarefehler und Cyberangriffe sichern („Resilienz“) und durch effektiven Datenschutz verhindern, dass Verbraucher*innen ausgespäht werden.
Langfristige Investitionen ermöglichen und absichern
Das Stromsystem der Zukunft benötigt mehr erneuerbare Energien sowie gleichzeitig Back-up-Kapazitäten und Langzeitspeicher, um Zeiten ohne ausreichenden Strom aus Windenergie- und Photovoltaikanlagen zu überbrücken. Es ist umstritten, ob der heutige Strommarkt langfristig genügend Sicherheiten bietet, um Investitionen in die benötigten Anlagen zu gewährleisten. Diese Frage sollte mit Nachdruck untersucht werden, um bereits heute die Weichen für den Strommarkt der Zukunft zu stellen.
Klimaneutrale Industrie
Klimaneutrale Industrie auf den Weg bringen
Warum ist das wichtig?
Rund ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen stammt aus der Industrie. Ein Großteil davon entsteht bei der Herstellung von Grundstoffen wie Stahl, Zement und Kunststoffen. Da Industrieanlagen viele Jahrzehnte in Betrieb sind, besteht hier ein besonders hohes Risiko, sich langfristig von emissionsintensiven Prozessen abhängig zu machen (Carbon Lock-in). Um die Emissionen der Industrie zu senken, ist ein Dreiklang erforderlich: (i) Grundstoffbedarf senken durch höhere Materialeffizienz sowie längere und intensivere Nutzung von Produkten; (ii) Stoffkreisläufe schließen im Sinne einer Circular Economy, zum Beispiel indem Produkte auf gute Trenn- und Wiederverwertbarkeit der Materialien hin entwickelt werden; (iii) klimaneutrale Produktionsprozesse und Rohmaterialien etablieren durch Elektrifizierung sowie grünen Wasserstoff und damit eigens hergestellten Kohlenwasserstoffen.
Was müssen wir tun?
Wettbewerbsfähigkeit klimaneutraler Produkte auf globalen Märkten sicherstellen
Das „Fit for 55“-Paket stellt die EU-Kommission vor ein nur schwer aufzulösendes Dilemma: Sie muss klare Anreize für wirkungsvollen Klimaschutz in Europa setzen und zugleich Schutzmaßnahmen treffen, damit Industrieunternehmen ihre Produktion nicht in Länder mit weniger Klimaschutz verlagern (Carbon Leakage). Die Bundesregierung sollte vehement darauf drängen, möglichst rasch eine Allianz für den Klimaschutz zu schmieden, die die USA und China mit einbezieht. Die unilaterale Festlegung eines Grenzausgleichssystems seitens der EU wäre mit hohen Risiken behaftet.
Investitionen durch CO2-Differenzverträge absichern
Um den Markterfolg wichtiger klimaneutraler Produktionsprozesse zu gewährleisten, dürften die aktuellen und für die nähere Zukunft zu erwartenden CO2-Preise im EU-Emissionshandel zu niedrig sein. Carbon Contracts for Difference (CCfDs) können sicherstellen, dass Unternehmen trotzdem schon jetzt in klimaschonende Verfahren investieren: Sie decken die Kostendifferenz zu herkömmlichen Verfahren vollständig ab und schaffen dadurch Investitionssicherheit. Dies ist dringend nötig, da zwischen 2020 und 2030 bei vielen bestehenden Anlagen große Reinvestitionen anstehen. Ein wichtiger Vorteil von CCfDs ist, dass die staatliche Unterstützung bei steigenden CO2-Preisen abnimmt: Im Falle ausreichend hoher CO2-Preise fließen automatisch keine Subventionen mehr.
Circular Economy und klimafreundliche Materialien auf nationaler und EU-Ebene fördern
Geschlossene Materialkreisläufe können auch diejenigen Emissionen und Umweltkosten verringern, die bisher kaum eingepreist werden. Es sind Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich, um eine Kreislaufwirtschaft und die Nutzung klimafreundlicher Materialien zu fördern – von der Wahl der Grundstoffe über die Güterproduktion bis hin zur Abfallbehandlung. Beispiele hierfür sind Standards für Produktdesign durch die Eco-Design-Richtlinie der EU sowie Anreize durch Gebührenstrukturen für den Grünen Punkt und Pfandsysteme.
Die notwendige Infrastruktur zeitgerecht entwickeln
Eine klimaneutrale Industrie benötigt große Mengen an grünem Strom und grünem Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen und mit sicheren Transportinfrastrukturen. Für unvermeidbare Prozessemissionen, etwa aus der Zement- und Kalkindustrie, müssen CO2-Abscheidungssysteme und Transportinfrastruk-turen aufgebaut und geeignete CO2-Lagerstätten erschlossen werden (Carbon Capture and Storage). Hier-für bedarf es frühzeitiger Änderungen im Genehmigungsrecht – zuvorderst aber einer gesellschaftlichen Diskussion über die in Deutschland umstrittene Technologie.
Wasserstoff sinnvoll nutzen
Wasserstoff: sinnvoll einsetzen, Chancen nutzen
Warum ist das wichtig?
Wasserstoff ist für eine klimaneutrale Energieversorgung von großer Bedeutung: In Wasserstoff und seinen Syntheseprodukten (zum Beispiel Ammoniak, Methanol, synthetischem Kerosin und anderen Kohlen-wasserstoffen) lässt sich Energie aus Wind und Sonne speichern, transportieren und vielseitig verwenden – auch in Bereichen, in denen grüner Strom nicht direkt eingesetzt werden kann. Diese Energieträger können außerdem aus fernen Ländern importiert werden, die bessere Wind- und Solarpotenziale haben. Dies wird erforderlich sein, denn auch in Zukunft wird Deutschland seinen Bedarf an Energie und an Kohlenwasserstoffen als Rohstoff, beispielsweise für die Produktion von Kunststoffen sowie Dünge- und Arzneimitteln, voraussichtlich nicht selbst decken können.
Was müssen wir tun?
Mit Partnerländern auf Augenhöhe kooperieren, europäisch und global denken
Um die Klimaziele zu erreichen, muss binnen weniger Jahre viel geschehen: Globale Märkte und Wertschöpfungsketten für klimaneutralen Wasserstoff – von der Erzeugung über den Transport bis hin zur Anwendung – müssen geschaffen und Regulierungen angepasst und neu eingeführt werden. Dabei ist wichtig, dass langfristige, verlässliche Partnerschaften für Wasserstoffimporte durch lokale Wertschöpfung auch der Bevölkerung in den Erzeugerländern nützen. Zugleich ist stets zu prüfen, ob erneuerbarer Strom zunächst vor Ort genutzt werden kann. Dem Klima wäre nicht geholfen, wenn mit grünem Strom Wasserstoff für den Export produziert wird, während Kohle- und Erdgaskraftwerke die lokale Stromversorgung übernehmen.
Verfügbarkeit realistisch bewerten, Einsatzgebiete klar priorisieren
Schon heute verbraucht Deutschland jährlich etwa 1,7 Millionen Tonnen Wasserstoff (rund 55 Terawattstunden). Dieser wird vorwiegend aus Erdgas gewonnen und vor allem in Raffinerien und der chemischen Industrie genutzt. Um allein diesen Bedarf mit grünem Wasserstoff zu decken, bräuchte es rund 85 Terawattstunden Strom – circa 15 Prozent der heutigen jährlichen Stromerzeugung in Deutschland. Soll grüner Wasserstoff künftig auch als Energieträger und Grundstoff in der Industrie dienen, sind weitaus größere Strommengen nötig. Angesichts des enormen Strombedarfs sind kurz- und langfristige Bedarfe und Potenziale realistisch zu bewerten. Die Hoffnung auf zukünftige Wasserstoffimporte darf die Elektrifizierung des Straßenverkehrs und der Wärmeversorgung sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien und Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs nicht verzögern. Da grüner Wasserstoff und damit hergestellte Flüssigkraftstoffe zunächst nur in begrenzten Mengen verfügbar sein werden, sollten sie vornehmlich in Bereichen verwendet werden, in denen ein direkter Einsatz von Strom (noch) nicht möglich ist, etwa in der Stahlherstellung und im Flug- und Schiffsverkehr.
Forschung und Entwicklung stärken, Infrastrukturen aufbauen
Damit Wasserstofftechnologien den Sprung in die Anwendung schaffen, sollten Forschung und Entwicklung weiter vorangetrieben und große Demonstrationsprojekte aufgebaut werden. Gleichzeitig braucht es schnell Infrastrukturen für den nationalen und internationalen Transport und die Speicherung von Wasserstoff. Für diese erscheint eine geeignete staatliche Unterstützung unabdingbar. Eine besondere Rolle nehmen Anlagen ein, für die in den nächsten Jahren langlebige Investitionen anstehen und für die eine Umstellung auf Wasserstoff voraussichtlich alternativlos ist. Ein Beispiel ist die Stahlherstellung: Hier könnte für eine Übergangszeit auch Wasserstoff aus fossilen Rohstoffen genutzt werden, um langlebige Investitionen in konventionelle Technologien zu vermeiden. Ein entsprechender rechtlicher Rahmen muss den sukzessiven Übergang zu ausschließlich grünem Wasserstoff sicherstellen.
Bioenergie
Bioenergie systemdienlich einsetzen
Warum ist das wichtig?
Biomasse ist der einzige erneuerbare Energieträger, der in stofflicher Form vorliegt. Sie kann zur Strom- und Wärmeerzeugung sowie als Biokraftstoff dienen, nimmt aber auch in der Produktherstellung eine wachsende Rolle ein. Dort ersetzt Biomasse klimaschädliche Materialien und Ausgangsstoffe wie Erdöl, Beton oder Stahl. Doch der Anbau von Energiepflanzen wie Mais, Raps und Ölpalmen erfordert große Flächen und kann Böden, Gewässern und der Artenvielfalt schaden. Der Energieertrag pro Fläche ist zudem sehr viel geringer als bei Solarenergie. Die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung darf durch den Energiepflanzenanbau nicht zusätzlich gefährdet werden – gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Risiken für die Landwirtschaft durch den Klimawandel. Auch die energetische Nutzung von Holz trägt nur in manchen Fällen zum Klimaschutz bei. Nachhaltig erzeugte Biomasse ist also nur in begrenzter Menge verfügbar und sollte so genutzt werden, dass sie dem Gesamtsystem die größten Vorteile bringt.
Was müssen wir tun?
Eine umfassende Bioenergiestrategie umsetzen
Bioenergie wird heute unterschiedlich genutzt: Holz dient meist dem Heizen, landwirtschaftliche Biomasse („Energiepflanzen“) der Erzeugung von Biokraftstoffen und Biogas, das größtenteils zur Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt wird. Mit zunehmendem Ausbau der Wind- und Solarenergie sollten sich die Anwendungsbereiche von Bioenergie ändern, um die Nutzung von grünem Strom sinnvoll zu ergänzen. Eine umfassende Bioenergiestrategie sollte sicherstellen, dass Biomasse künftig dort Verwendung findet, wo ein direkter Einsatz von Wind- und Solarstrom nicht möglich ist, also in der Industrie, im Flugverkehr und zur Stromerzeugung in Dunkelflauten mit flexiblen Biogaskraftwerken.
Auf Anbau-Biomasse verzichten, dafür Rest- und Abfallstoffe nutzen
Bisher ungenutztes Restholz, Stroh und tierische Exkremente haben großes Potenzial: Sie können zunehmend für die Energiegewinnung eingesetzt werden und Energiepflanzen schrittweise ersetzen, ohne den Einsatz von Bioenergie insgesamt zu reduzieren. Das ermöglicht, die Vorteile der Bioenergie im Energiesystem zu nutzen, dabei aber die Risiken für Natur, Umwelt und Ernährungssicherheit gering zu halten.
Globale Folgen der Bioenergienutzung in Deutschland beachten
Die energetische Nutzung von Waldholz und Agrarrohstoffen ist ökologisch riskant und sollte nicht ausgeweitet werden. Denn eine Intensivierung der Landnutzung erhöht den Druck auf Umwelt und Natur. Da Holz und Agrarrohstoffe wie Pflanzenöle auf globalen Märkten gehandelt werden, kann sich deren Nutzung in Deutschland auf Ökosysteme weltweit auswirken. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, global wirksame Instrumente für den Schutz der Wälder und eine klima- und naturverträgliche Landnutzung zu schaffen. Diese müssten neben Bioenergie auch alle anderen land- und forstwirtschaftlichen Produkte berücksichtigen. Bis solche Instrumente greifen, sollte Bioenergie nur sehr restriktiv genutzt werden.
Bioenergie mit Carbon Capture and Storage (CCS) erproben
Wird Bioenergie zur Energieversorgung von Industrieanlangen eingesetzt, kann das dabei entstandene CO2 abgeschieden werden. Wird dieses zuvor von den Pflanzen aus der Atmosphäre aufgenommene CO2 unterirdisch eingelagert (Carbon Capture and Storage, kurz: CCS), würde dies den CO2-Gehalt in der Atmosphäre verringern („negative Emissionen“). Alternativ kann das CO2 zum Beispiel auch dazu dienen, klimaneutrale synthetische Kraftstoffe oder Kohlenwasserstoffe für die industrielle Nutzung zu erzeugen.
Rohstoffe nachhaltig sichern
Rohstoffe für die Energiewende sichern und nachhaltig nutzen
Warum ist das wichtig?
Windräder, Solaranlagen, Speicher und Elektroautos: Sie alle bestehen aus verschiedenen Metallen wie Stahl und Kupfer, aber auch Seltenen Erden, Kobalt und Lithium. Viel stärker noch als bei Erdöl sind Deutschland und Europa bei manchen dieser Metalle auf Lieferungen aus einigen wenigen Ländern angewiesen. Lieferengpässe bei diesen Rohstoffen können den Aufbau einer klimafreundlichen Energieversorgung verzögern. Eine aktive Rohstoffpolitik sollte sicherstellen, dass die für die Energiewende benötigten Rohstoffe verfügbar sind. Einzelne Versorgungsengpässe lassen sich dabei leichter überbrücken, wenn die Rohstoffe aus verschiedenen Quellen bezogen werden. Gleichzeitig gilt es, durch alternative Produkte oder Herstellungsverfahren den Bedarf an kritischen Rohstoffen zu verringern.
Was müssen wir tun?
Rohstoffverbrauch durch kluge Herstellung und Nutzung von Produkten reduzieren
Der Verbrauch an Rohstoffen kann gesenkt werden, indem Produkte langlebiger und reparaturfähiger hergestellt und effektiver genutzt werden (zum Beispiel durch gemeinsame Nutzung wie Carsharing). Eine leichtere Bauweise und die Vermeidung von Materialverlusten bei der Fertigung erlauben es zudem, Produkte mit geringerem Rohstoffeinsatz herzustellen. Intensive Materialforschung kann dazu beitragen, kritische Rohstoffe durch leichter verfügbare Ressourcen zu ersetzen.
Recycling verbessern
Stahl, Aluminium und Kupfer werden schon heute bevorzugt aus Schrott gewonnen. Doch die Recyclingraten bei sogenannten Hightech-Rohstoffen wie Seltenen Erden, Indium oder Gallium sind noch sehr niedrig. Um den Importbedarf zu verringern, sollte die Bundesregierung eine Erhöhung der Recyclingraten anstreben. Der gesamte Lebenszyklus von Produkten sollte eine effiziente Wiedergewinnung wertvoller Rohstoffe ermöglichen und fördern: vom recyclingfähigen Produktdesign über verbraucherfreundlichere Sammelsysteme bis hin zu schärferen Ausfuhrkontrollen für Gebrauchtgüter, um die illegale Ausfuhr von Elektroschrott zu verhindern, und Vorschriften in der Abfallgesetzgebung für ein hochwertiges Recycling von Edel- und Sondermetallen.
Europäische Rohstoffquellen erschließen
Selbst im theoretischen Idealfall eines vollständigen Recyclings könnte dieses den steigenden Rohstoffbedarf nur teilweise decken – Bergbau bleibt erforderlich. Den Bergbau in Europa wieder zu intensivieren, kann die Abhängigkeit von politisch instabilen Ländern und Ländern mit großer Marktmacht verringern. Ein Schritt in diese Richtung ist die kürzlich beschlossene Änderung im deutschen Bergrecht, die die Förderung von Lithium in Deutschland erleichtert.
Industrie bei der Rohstoffsicherung unterstützen, Umwelt- und Sozialstandards sicherstellen.
Deutschland sollte international auf offene und transparente Rohstoffmärkte hinwirken und mit Handelsabkommen sowie zwischenstaatlichen Verträgen privatwirtschaftliche Lieferbeziehungen flankieren. Auch strategische Investitionen in Rohstoffprojekte können die Versorgungssicherheit verbessern. Dabei ist es nicht nur ethisch geboten, Umwelt- und Sozialstandards international zu erhöhen, sondern dies ist auch Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb. Dies gilt für Bergbau und Recycling gleichermaßen. Verbindliche Transparenzmechanismen können Unternehmen dazu verpflichten, ihre Produktionsbedingungen offenzulegen.
Negative Emissionen
Negative Emissionen: CO2 aus der Atmosphäre entnehmen
Warum ist das wichtig?
Selbst im bestmöglichen Fall ist absehbar, dass Landwirtschaft und einige Teile der Industrie auch im Jahr 2045 noch Treibhausgase ausstoßen. Diese auszugleichen ist sozusagen der Schlusssprint, um Klimaneutralität zu erreichen. Hierzu werden Verfahren benötigt, die CO2 aus der Atmosphäre entnehmen und permanent einlagern, in Vegetation und Boden binden oder in langlebigen Produkten speichern (zum Beispiel in Bauholz). Um die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, müssen laut Weltklimarat ab Mitte des Jahrhunderts sogar mehr Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernt als noch ausgestoßen werden – man spricht dann von netto-negativen Emissionen.
Was müssen wir tun?
Rolle von CO2-Entnahme gesellschaftlich diskutieren und festlegen
Es gibt verschiedene Verfahren zur CO2-Entnahme. Die deutsche Politik setzt bisher in erster Linie auf sogenannte „natürliche Senken“, also auf Ökosysteme wie Wälder, die Kohlenstoff binden. Voraussichtlich werden die Potenziale in Deutschland aber nicht ausreichen, um langfristig netto-negative Emissionen zu erreichen. Zudem sind gerade Wälder durch den Klimawandel gefährdet, sodass nicht sicher ist, ob sie CO2 permanent speichern können: Waldbrände, Dürren oder Schädlinge können Wälder so stark schädigen, dass der gebundene Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre gelangt. Neben den natürlichen Senken werden technische CO2-Entnahmeverfahren diskutiert: So kann CO2 aus Bioenergieanlagen abgeschieden oder direkt aus der Luft entnommen und anschließend in geologischen Lagerstätten dauerhaft gespeichert werden (Carbon Capture and Storage, kurz: CCS). Die langfristigen Potenziale und Kosten dieser Technologien sind allerdings noch unsicher. CCS ist in Deutschland umstritten, aber voraussichtlich notwendig, um die Klimaziele zu erreichen – wobei Abscheidung und Einlagerung des CO2 auch in anderen Ländern erfolgen könnten, in denen grüne Energie günstiger und die Akzeptanz für CCS größer ist. Die Bundesregierung sollte eine gesellschaftliche Debatte anstoßen, die über 2045 hinausblickt und festlegt, welche Verfahren zur CO2-Entnahme ab wann zum Einsatz kommen sollen.
CO2-Entnahmeverfahren erforschen und realisieren
Die verschiedenen CO2-Entnahmeverfahren müssen weiter erforscht, erprobt und innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre in den Markthochlauf gebracht werden. Da Potenziale, Kosten und Risiken der verschiedenen Verfahren noch nicht umfassend abzuschätzen sind, ist es sinnvoll, zunächst auf einen breiten Mix von Technologien zu setzen.
Potenziale nicht überschätzen
Wie viel CO2 in den nächsten Jahrzehnten der Atmosphäre zu welchen Kosten tatsächlich entnommen werden kann, ist ungewiss. Die Vermeidung von Emissionen muss daher oberste Priorität haben, um die Abhängigkeit von unsicheren und noch unerprobten CO2-Entnahmetechnologien möglichst gering zu halten. Ein Ausgleich von Emissionen durch CO2-Entnahme aus der Atmosphäre sollte entsprechend nur für diejenigen Emissionen vorgesehen werden, die sich voraussichtlich nicht vermeiden lassen.
Transparente und gerechte Klimapolitik
Klimapolitik transparent und gerecht gestalten
Warum ist das wichtig?
Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung sie mitträgt und aktiv unterstützt. Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Bürger*innen die Energiewende befürwortet und Klimaschutz sehr wichtig findet. Viele sind aber mit der Umsetzung unzufrieden, unter anderem weil sie die Verteilung der Lasten aus Klimaschutz und Energiewende als ungerecht und klimafreundliches Verhalten als strukturell erschwert empfinden. So fördert etwa die Verkehrspolitik die klimafreundliche Mobilität nicht ausreichend. Ziel der Klimapolitik muss sein, die aus der Transformation entstehenden Belastungen fair zu verteilen und ehrlich zu kommunizieren. Dabei sollten unterschiedliche Lebensrealitäten beachtet und sozialverträgliche Lösungen gesucht werden, die trotzdem die richtigen Signale für den Klimaschutz setzen.
Was müssen wir tun?
Klimapolitik offen und transparent kommunizieren
Energiewende und Klimaschutz bedeuten große Veränderungen für uns als Gesellschaft. Dazu gehören ein Wandel im Konsumverhalten und Alltag ebenso wie erhebliche Investitionen. Doch ohne sofortige und entschiedene Maßnahmen drohen langfristig deutlich höhere Kosten. Bereits in wenigen Jahren müsste die Politik aufgrund anhaltender Zielverfehlungen zu teureren Maßnahmen greifen und die individuelle Handlungsfreiheit stärker einschränken, um die Klimaziele noch erreichen zu können. Die Bundesregierung sollte einen intensiven Diskurs über die Größe der Herausforderung sowie über Kosten, Nutzen und Verteilungswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen anstrengen. Jede*r Einzelne muss sich ein Bild davon machen können, was auf sie oder ihn durch die Maßnahmen zukommt.
Einnahmen aus der CO2-Bepreisung gezielt einsetzen
Eine faire Lastenteilung erfordert, dass diejenigen Bürger*innen und Unternehmen, die die meisten Emissionen verursachen, entsprechend mehr dafür zahlen. Eine wichtige Grundlage dafür schafft die CO2-Bepreisung, die transparent ist und automatisch diejenigen stärker in die Pflicht nimmt, die einen hohen CO2-Ausstoß verursachen. Allerdings können die Belastungen aus CO2-Preisen und anderen Klimaschutzmaßnahmen ärmere Haushalte in Relation zu ihrem verfügbaren Einkommen stärker treffen. Einnahmen aus der CO2-Bepreisung können dazu genutzt werden, zum einen staatliche Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren und zum anderen Bürger*innen und Unternehmen zu entlasten. Besonders sinnvoll erscheint die Abschaffung der EEG-Umlage: Der Strompreis sinkt, wodurch grüner Strom attraktiver wird und gleichzeitig Unternehmen sowie (insbesondere ärmere) Haushalte entlastet werden. Entlastungen sollten allerdings CO2-Preise nicht konterkarieren. So begünstigt eine höhere Pendlerpauschale beispielsweise Langstreckenpendler, die bereits heute zu mehr als 80 Prozent das Auto nutzen.
Klimafreundliche Alternativen schaffen
Für die Einzelne und den Einzelnen ist es oft schwierig, sich klimagerecht zu verhalten. Auf fossilen Energieträgern beruhende Verhaltensmuster sind lange eingeübt, während attraktive und klimaschonende Alternativen fehlen. Diese müssen aufgebaut werden, um neue Lebensmodelle zu ermöglichen – von einem gut ausgebauten, barrierefreien öffentlichen Nahverkehr über sichere und attraktive Radwege bis hin zur Option, im Homeoffice zu arbeiten. Dabei sind unterschiedliche Lebensumstände in Stadt und Land zu berücksichtigen, sodass für alle Menschen gute Lösungen entstehen. Ein Beispiel ist eine Fahrzeugmaut, die Autofahren in Städten mit gutem öffentlichen Nahverkehr verteuert, während sie Bürger*innen auf dem Land nicht zusätzlich belastet. Ein weiteres Beispiel ist die Finanzierung der Gebäudeklimatisierung, für die Konzepte entwickelt werden müssen, die sowohl Mieter*innen als auch Vermieter*innen gerecht werden.