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Wie nachhaltige Bioenergienutzung geht

29. April 2019

Ist die Biomasse eine klimapolitische Allzweckwaffe? Nein, schreiben Daniela Thrän vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft Kiel in ihrem Standpunkt für den Tagesspiegel Background Energie & Klima. Denn die Potenziale sind begrenzt. Umso wichtiger, sie klug einzusetzen. Nicht zum Heizen von Gebäuden, sondern als Kraftstoffe für den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel Background Energie & Klima.

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„Wie nachhaltige Bioenergienutzung geht"

Strom, Wärme, Kraftstoffe im Verkehr: Schon heute werden Energieträger aus Biomasse vielfältig im Energiesystem eingesetzt. Aktuell deckt Bioenergie ein Zehntel des Energiebedarfs in Deutschland und liefert damit mehr Energie als Wind- und Wasserkraft, Solarenergie und Geothermie zusammen. Da sie sich gut speichern lässt, hilft Bioenergie, die Schwankungen der Wind- und Sonnenenergie auszugleichen. Aufgrund ihrer großen Potenziale und Einsatzmöglichkeiten bezeichnet die Internationale Energieagentur IEA Bioenergie als den „übersehenen Giganten“ unter den Erneuerbaren: Im Jahr 2017 stellte Bioenergie die Hälfte der weltweit verbrauchten Energie aus regenerativen Quellen bereit.

Ist Bioenergie also eine unterschätzte „Allzweckwaffe“, um das Energiesystem klimafreundlich zu machen und fossile Energieträger zu ersetzen? Die Antwort lautet ganz klar: nein. Denn wenn zu viel Biomasse für die Energieversorgung genutzt wird, entstehen große Risiken für Mensch und Umwelt. Zum einen veranschaulicht die berühmte Teller-Tank-Debatte, dass Biomasse ein begehrtes Gut ist: Sie wird nicht nur für die Energieversorgung benötigt, sondern auch zur Herstellung von Materialien, Nahrungs- und Futtermitteln. Da die Weltbevölkerung wächst, werden der Bedarf an Biomasse und damit auch die Konkurrenz um die begrenzten Landflächen in Zukunft weiter steigen. Zum anderen kann der Anbau von Energiepflanzen – wie alle Formen der intensiven Landwirtschaft – Treibhausgase verursachen, sich negativ auf Artenvielfalt und Bodenqualität auswirken und Gewässer belasten. Auf keinen Fall darf eine erhöhte Nachfrage nach Bioenergie dazu führen, dass Wälder abgeholzt werden, denn das würde dem Klima mehr schaden als nutzen.

Das künftige Biomassepotenzial für eine nachhaltige Bioenergiebereitstellung liegt vor allem in Rest- und Abfallstoffen und in Anbaubiomassen mit einem geringen Risiko negativer Auswirkungen – zum Beispiel Biomasse, die heute mit sehr niedrigen Erträgen produziert wird, weil das entsprechende Knowhow oder Dünger nicht zur Verfügung stehen. Auch karge Böden, die bisher nicht landwirtschaftlich genutzt werden, könnten zum Anbau anspruchsloser Energiepflanzen dienen.

Eine konsistente Bioenergiepolitik muss sicherstellen, dass die Bioenergienutzung keine negativen sozialen und ökologischen Folgen hat und einen maximalen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Da Deutschland viel Biomasse importiert, müssen dabei auch die Auswirkungen außerhalb der eigenen Landesgrenzen berücksichtigt werden.

Wie können die begrenzten Biomassepotenziale sinnvoll im Energiesystem genutzt werden? Diese Frage haben wir im Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ in einem interdisziplinären Wissenschaftlerteam untersucht. Auf Basis unserer Ergebnisse kommen wir zu dem Schluss, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, wie Bioenergie die Energiewende und den Klimaschutz unterstützen kann. Einen Königsweg gibt es nicht. Im Mittelpunkt sollte immer die Prämisse stehen, Bioenergie systemdienlich im Energiesystem zu nutzen: Sie kann in den Bereichen eingesetzt werden, in denen andere erneuerbare Energien ungeeignet sind.

Begrenzte Potenziale sinnvoll nutzen

Bioenergie sollte künftig nicht „verschwendet“ werden, um warmes Wasser zum Heizen von Gebäuden herzustellen. Das geht effizienter mit Wärmepumpen, die mit Wind- und Solarstrom betreiben werden. Auch Strom in großem Umfang aus Biomasse herzustellen, halten wir langfristig nicht für zielführend. Windkraft und Photovoltaik sind dazu viel besser geeignet. Biomasse kann aber einspringen, um wind- und sonnenarme Zeiten zu überbrücken.

Langfristig schlagen wir vor, aus Biomassevor allem Kraftstoffe für den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr herzustellen. Elektrische Antriebe sind in diesen Bereichen nur bedingt einsetzbar, und Bioenergie kann diese Schwäche optimal ausgleichen. Ein weiteres sinnvolles Einsatzgebiet sind Industrieanlagen, die Prozesswärme benötigen, denn Biomasse und Biogas können auch bei hohen Temperaturen verbrannt werden. 

Entwicklungspfade der zukünftigen Bioenergienutzung

Welche Bereiche des Energiesystems die Bioenergie in Zukunft versorgen wird, können wir heute nicht mit Sicherheit sagen. Drei Entwicklungen sind dazu entscheidend. Das betrifft erstens die Frage, ob die in Deutschland umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid mit der CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) als Teil der Klimaschutzstrategie akzeptiert wird. Das überrascht vielleicht zunächst, denn was hat CCS mit Bioenergie zu tun?

Klimamodelle zeigen, dass der Atmosphäre in Zukunft Kohlendioxid entnommen werden muss, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das betont unter anderem der Weltklimarat IPCC in seinem Sonderbericht „1,5 Grad globale Erwärmung“. Diese Einschätzung teilt das Bundesumweltministerium in seinem aktuellen Referentenentwurf für ein Bundes-Klimaschutzgesetz. Dort heißt es: Bis 2050 soll ein Gleichgewicht zwischen verbleibenden Treibhausgasemissionen und dem Abbau von Treibhausgasen entstehen. Das bedeutet, wir brauchen sogenannte CO2-Entnahmetechnologien, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen können. In Deutschland wird dieses Thema bisher wenig diskutiert.

CO2-Entnahmetechnologien auf Basis von CCS

Eine Möglichkeit besteht darin, bei der Erzeugung von Strom, Wärme oder Kraftstoffen aus Biomasse das dabei entstehende CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu speichern (BECCS). Alternativ kann Kohlendioxid in technischen Anlagen mit chemischen Bindemitteln aus der Umgebungsluft aufgefangen, komprimiert und in der Erde gelagert werden – dabei spricht man von Direct Air Capture. Beide Technologien haben unterschiedliche Voraussetzungen: Während BECCS Biomasse für energetische Nutzungen erfordert, ist Direct Air Capture energieintensiv und noch vergleichsweise teuer, braucht aber keine Biomasse.

Sollten solche CO2-Entnahmetechnologien in die deutsche Klimaschutzstrategie einbezogen werden, müsste zeitnah eine Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von Kohlendioxid aufgebaut werden. Entscheidet sich die Gesellschaft gegen die unterirdische Lagerung (CCS), blieben nur CO2-Entnahmetechnologien übrig, bei denenKohlenstoff in Vegetation und Boden gespeichert wird, beispielsweise durch großflächige Aufforstung. Dafür fehlen in Deutschland aber die Flächen.

Potenziale flüssiger Biokraftstoffe

Eine zweite offene Frage für die zukünftige Verwendung von Bioenergie ist, in welchem Umfang sich flüssige Biokraftstoffe aus Lignozellulose am Markt durchsetzen können. Lignozellulose bildet die Zellwände verholzter Pflanzen; Holz und Stroh bestehen beispielsweise größtenteils daraus. Bisher werden Biokraftstoffe aus ölhaltigen Pflanzen wie Raps (Biodiesel) oder stärkehaltigen Pflanzen wie Mais (Bioethanol) hergestellt. Der Anbau dieser Pflanzen benötigt aber Agrarfläche, Dünger und Pestizide und wirkt sich daher negativ auf Umwelt und Artenvielfalt aus.

Nachhaltiger wäre es, Biokraftstoffe zukünftig aus Waldrestholz, Stroh oder anderen Rest- und Abfallstoffen zu produzieren. Die etablierten Anlagen zur Herstellung flüssiger Kraftstoffe sowie Biogasanlagen können Lignozellulose allerdings nicht verarbeiten. Die Herausforderung liegt also darin, bestehende Verfahren zu verbessern. Insbesondere gilt es, Bioraffinerien im großtechnischen Maßstab zu entwickeln, eine hohe Anlagenverfügbarkeit zu erreichen und die Verarbeitungskosten zu senken.

In Deutschland schlummern ungenutzte Potenziale an Rest- und Abfallstoffen. Würden diese erschlossen, könnte die Bundesrepublik jährlich etwa 300 Terawattstunden an Rest- und Abfallstoffen nutzen. Unter Berücksichtigung von Umwandlungsverlusten könnten diese rund die Hälfte des zukünftigen Kraftstoffbedarfs decken – vorausgesetzt, große Teile des Verkehrs werden auf Elektromobilität umgestellt.

Flexible Strom- und Wärmeerzeugung mit KWK

Die dritte entscheidende Säule der zukünftigen Bioenergienutzung ist eine funktionierende Infrastruktur zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Diese Technologie ermöglicht es, mechanische Energie und nutzbare Wärme zum Heizen oder für Industrieprozesse in einem Schritt zu gewinnen. Mit KWK lassen sich Strom und Wärme effizient aus Biogas, Holz oder Abfällen erzeugen – sowohl in kleinen dezentraleren als auch in großen zentraleren Anlagen. Damit die Kraft-Wärme-Kopplung ihr volles Potenzial entfalten kann, müssen die Wärmenetze jedoch weiter ausgebaut und gefördert werden.

Welchen Weg sollte Deutschland also bei der Bioenergienutzung beschreiten? Die verschiedenen Optionen haben wir in einer interaktiven Infografik zusammengefasst. Technisch und gesellschaftlich am einfachsten umsetzbar ist es sicherlich, eine umfassende KWK-Strategie zu implementieren. Verzichtet Deutschland jedoch auf CO2-Entnahmetechnologien und auf die Kraftstofferzeugung aus Lignozellulose, würden Chancen vertan, mit Bioenergie zum Umbau des Energiesystems und zum Erreichen der langfristigen Klimaziele beizutragen. Für einen maximalen Beitrag der Bioenergie zum Klimaschutz gilt daher, sowohl bestehende Technologien wie die Kraft-Wärme-Kopplung weiterzuentwickeln als auch neue Technologien wie BECCS und Bioraffinerien zu erforschen und zu testen. Denn die Herausforderungen des Klimaschutzes sind enorm. Um sie zu bewältigen, müssen wir alle vorhandenen Möglichkeiten nutzen – auch bei der Bioenergie. 

Daniela Thrän leitet das Department „Bioenergie“ am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ und den Bereich Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig. Gernot Klepper forscht am Institut für Weltwirtschaft Kiel zu den Themen Klimawandel und Klimapolitik, umweltpolitische Instrumente, alternative Energiequellen und globale Umweltprobleme. Die beiden Wissenschaftler haben die Arbeitsgruppe „Bioenergie“ im Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) geleitet.

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