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ESYS-Wissenschaftler kommentieren Bericht der Kohlekommission

29. Januar 2019

Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin empfiehlt das Expertengremium unter anderem den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis Ende 2038, Unterstützungsmaßnahmen für Kohlebundesländer und Beschäftige sowie Entlastungen für Haushalte und Industrie. Außerdem benennt der Bericht Technologien und Instrumente für die Stromversorgung der Zukunft. ESYS-Wissenschaftler kommentieren aus ihrer Perspektive, wie die Energieversorgung künftig gesichert werden kann, welche Rolle die Sektorkopplung spielt und was als Nächstes passieren muss.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel Background Energie & Klima.

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„Der Kohleausstieg erfordert mehr Erneuerbare und mehr Markt“

Dirk Uwe Sauer

ESYS-Sprecher und Professor am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA)

Der Ausstieg aus der Kohle zur Stromproduktion ist notwendig und wäre bei absehbarer und geplanter Entwicklung des Preises für CO2-Zertifikate im europäischen Handel sowieso erfolgt. Leider wurden die vergangenen 10 Jahre nicht genutzt, um diesen Ausstieg durch stetig steigende CO2-Preise marktgerecht einzuleiten. Dadurch hätten starke Brüche und hohe Entschädigungszahlungen vermieden werden können. Zudem hätte ein sachgemäßer CO2-Preis dazu geführt, dass CO2-Emissionen dort eingespart werden, wo sie am günstigen vermieden werden können.

Wichtig ist es jetzt, in dem gesetzten Rahmen genau festzulegen, wie lange welche Kapazitäten in der regulären Stromproduktion bestehen bleiben sollen. Außerdem muss geklärt werden, welche Kapazitäten wie lange noch als Kaltreserven benötigt werden. Das kann die seit vielen Jahren verloren gegangene Investitionssicherheit in neue Gaskraftwerke, in Erneuerbare-Energieanlagen, in Speicher und Lastmanagement sowie – gegen Ende des nächstens Jahrzehnts – auch in Langzeitspeicher zurückbringen.

Gaskraftwerke werden in Zukunft die Technologie der Wahl sein, wenn es darum geht, die Energieversorgung zu stabilisieren. Sie können in ganz verschiedenen Varianten genutzt werden. Die Palette reicht von hocheffizienten Gas- und Dampfkraftwerken für höhere Laufzeiten über Gasturbinenkraftwerke für die Spitzenlastabdeckung bis zu Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung für die Bereitstellung von Wärme für die Industrie und Nahwärmenetze. Ihr Vorteil: Gaskraftwerke können flexibel in relativ kleinen Einheiten nahe an den jeweiligen Verbrauchszentren errichtet werden.

Zwar werden Gaskraftwerke in den nächsten Jahren noch mit fossilem Erdgas befeuert. Steigt der Anteil der erneuerbaren Energien auf über 80 Prozent der Stromerzeugung, können sie jedoch mit Biogas oder mit Methan, das aus Wasserstoff aus Elektrolyse und CO2 hergestellt wird, betrieben werden. Damit dienen sie automatisch auch als Langzeitspeicher für das Stromsystem.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss nun deutlich beschleunigt werden. Dabei wird die Photovoltaik eine wichtige Rolle spielen. Die Errichtung von großen Freifeldanlagen kann dabei nicht nur eine kostengünstige Stromerzeugung ermöglichen, sondern eröffnet auch die Chance, großflächige Refugien für Insekten, Vögel und Pflanzen zu schaffen, deren zahlen- und artenmäßiger Rückgang uns ebenfalls mit großer Sorge erfüllen muss. Dazu brauchen wir eine offene und ehrliche Diskussion in der gesamten Gesellschaft, denn natürlich wird es auch in der Zeit nach dem Kohletagebau durch die erneuerbaren Energien Eingriffe in das Landschaftsbild durch die Energieversorgung geben.

Viele Studien zeigen, dass eine überwiegend auf erneuerbaren Energien basierende Stromerzeugung nicht viel teurer werden muss, als es passieren würde, wenn der bisherige Energiemix beibehalten werden würde. Allerdings gehen all diese Studien von einem regulatorischen Rahmen aus, der einen optimalen Einsatz von Speichern und den Austausch von Energie zwischen den verschiedenen Sektoren ermöglicht. Davon sind wir heute so weit entfernt, das jetzt schon erhebliche Zusatzkosten im Energiesystem entstehen.

Ein grundsätzlicher Umbau des Energiemarktes vom Preis- und Handelsmechanismus an der Strombörse bis zur Festlegung von Steuern und Abgaben auf verschiedene Energieträger und die Netznutzung sind jetzt umgehend notwendig. Zeitlich und räumlich unterschiedliche Strompreise werden eine flexible Nutzung von Strom und Power-to-X-Technologien ermöglichen. Dabei steht das X für Gas, flüssige Kraftstoffe, Wasserstoff, Wärme oder chemische Vorprodukte. Die Energiewirtschaft wird Geschäftsmodelle für einen effizienten Betrieb entwickeln, sodass die Potenziale für den zeitlich flexiblen Betrieb von Verbrauchern und Erzeugern im industriellen und privaten Bereich gehoben werden können. Dies wird notwendig sein, um den steigenden Ausgleichsbedarf der fluktuierenden Stromerzeugung aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu geringstmöglichen Kosten zu realisieren.

„Der Bericht betont die Bedeutung der Sektorkopplung als Schlüsselelement für den Umbau des Energiesystems“

Hans-Martin Henning

Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und Co-Leiter der ESYS-Arbeitsgruppe „Sektorkopplung“

Der Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ weist in die richtige Richtung. Parallel zu einer verlässlichen Vereinbarung zum Ausstieg aus der Kohleverstromung wird der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Ziel eines Anteils von 65 Prozent für die Stromerzeugung bis 2030 unterstrichen. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil bei einer weiter zunehmenden Sektorkopplung mit einem steigenden Strombedarf zu rechnen ist. Und die Sektorkopplung mit allen Elementen der direkten und indirekten Stromnutzung wird im Bericht als Schlüsselelement für den Umbau des Energiesystems unterstrichen. Dies bestätigt die Ergebnisse der ESYS-Stellungnahme „Sektorkopplung“ – ebenso wie die Empfehlung, Wasserstoff- und Power-to-X-Technologien zu fördern und der Vorschlag, das „bestehende System der Entgelte, Abgaben und Umlagen im Energiesektor umfassend zu überarbeiten“.

Zudem scheint mir ein weiterer Gesichtspunkt von zentraler Bedeutung: Strukturwandel heißt nicht nur, aus bestehenden Strukturen und Technologien sukzessive auszusteigen, sondern auch in neue Technologien einzusteigen, wie es an vielen Stellen des Kommissionsberichts ausgeführt wird. Wenn es gelingt, wesentliche Energietechnologien, die für den Umbau des globalen Energiesystems von zentraler Bedeutung sind, in Deutschland zu entwickeln, anzuwenden, herzustellen und die technologische Souveränität auch längerfristig zu sichern, liegen in dem beschriebenen Wandel große Chancen für Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit. Die Bandbreite der relevanten Energietechnologien reicht dabei von den Wandlern erneuerbarer Energien über Speichertechniken und Effizienztechnologien, die großskalige Wasserstofferzeugung und -nutzung bis hin zu Verfahren zur Herstellung synthetischer, kohlenstoffbasierter Brenn- und Kraftstoffe einschließlich der Prozesse zur CO2-Gewinnung aus Gasgemischen.

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