Teilnehmende der ESYS-Jahresveranstaltung im Futurium in Berlin © acatech/Ausserhofer

Digitaler, dezentraler, internationaler: jetzt die Weichen für das Energiesystem der Zukunft stellen

20. November 2019

Die Digitalisierung, neue Energieanlagen und Erzeuger und der stetig wachsende Anteil an Wind- und Solarenergie verändern das Energiesystem. Wie kann Deutschland den Wandel der Energieversorgung effizient und nachhaltig gestalten? Die Jahresveranstaltung des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) nahm Herausforderungen und Lösungsansätze in den Blick. Ein Kernergebnis: Die Energiewende muss globaler werden, etwa durch mehr Vernetzung, Energieimporte und Wasserstoffpartnerschaften. Dazu brauche es geeignete Instrumente und Technologien, aber auch den Netzausbau. 120 Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft kamen am 19. November im Berliner Futurium zusammen.

In seiner Keynote schilderte Volker Rieke, Leiter der Abteilung „Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Bedeutung des Klimapakets für die Energiewende. Damit Klimaschutz nicht zum Luxusgut werde, habe die Bundesregierung den Gerechtigkeitsaspekt fest darin verankert. Volker Rieke hob hervor, dass gerechter Klimaschutz nur mit einer systemischen Betrachtungsweise erreicht werden könne. ESYS sei gefordert, sich weiterhin in diese Debatte einzubringen. Darüber hinaus betonte der BMBF-Abteilungsleiter, dass Deutschland in Zukunft erneuerbare Energieträger importieren müsse, um die Klimaziele zu erreichen. Wasserstoff als „Öl der Zukunft“ räumte er einen besonders hohen Stellenwert ein. Voraussetzung für dessen Nutzung sei, die Energiewende und das Energiesystem global zu denken.

Ansprechpartnerinnen


Auch der für Energiepolitik zuständige Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Andreas Feicht ging in seiner Keynote auf das Klimapaket der Bundesregierung ein. Er machte deutlich, dass Marktakteure ausreichend Zeit benötigen, um sich an eine umfassende CO2-Bepreisung anzupassen – andernfalls werde die Umstellung scheitern. In Zukunft müssten wir uns jedoch auf deutlich höhere CO2-Preise einstellen. Auch beim Kohleausstieg sei es wichtig, alle gesellschaftlichen Gruppen mitzunehmen. Aufgabe der Energiepolitik sei es nicht nur, den Marktrahmen für die Akteure zu schaffen, sondern auch, die Energieinfrastrukturen effizient zu managen. Dafür müssten die Netze weiter ausgebaut werden. Bei all diesen Zukunftsaufgaben sei die Unterstützung der Wissenschaft gefragt – auch aus dem Projekt ESYS.

Wissenschaft trifft Fridays for Future

Diese Visionen zum Energiesystem der Zukunft zeigen: Schon in den kommenden Jahren braucht es mutige Entscheidungen – ansonsten droht die Energiewende zu scheitern. Dafür setzt sich auch die Klimaschutzbewegung Fridays for Future ein. Emma Fuchs unterstrich auf der Bühne die Forderung von Fridays for Future, einen CO2-Preis in Höhe von 180 Euro pro Tonne CO2 und eine Klimadividende einzuführen. Klimagerechtigkeit sei der Bewegung besonders wichtig. Aus Sicht der Wissenschaftlerin Karen Pittel (ifo Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen) sei ein so hoher CO2-Preis zum Einstieg schwierig, im weiteren Verlauf jedoch durchaus realistisch. Zum Start hätte sich die Ökonomin einen CO2-Preis von etwa 40 Euro pro Tonne Kohlendioxid gewünscht, um tatsächlich eine Lenkungswirkung erzielen zu können.

Herausforderungen für die nächste Phase der Energiewende

Das Energiesystem wird immer digitaler, dezentraler und flexibler. Wie können diese Entwicklungen intelligent verknüpft werden und dazu beitragen, dass Deutschland bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral wird? Antworten aus dem Projekt gaben die Leiter der ESYS-Arbeitsgruppen Jutta Hanson (Technische Universität Darmstadt), Christoph Mayer (OFFIS – Institut für Informatik) und Felix Müsgens (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg). Frau Hanson stellte zu Beginn klar, dass das Energiesystem der Zukunft sowohl zentrale als auch dezentrale Elemente beinhalten werde. Es gilt, alle Potenziale zu nutzen: kleine Dach-Solaranlagen und große Solarparks, Windenergie an Land und auf See. Um den großen Bedarf decken können, müssten die Übertragungs- und Verteilnetze massiv ausgebaut werden. Christoph Mayer ordnete diese Entwicklung in den Kontext der Digitalisierung ein. Da künftig alle Geräte vom Hausspeicher bis zur Photovoltaikanlage vernetzt seien, steige die Gefahr von Hackerangriffen. Netzbetreiber müssten somit steuernd eingreifen können. Durch die vielen Erneuerbare-Energieanlagen und Prosumer werde es immer wichtiger, Engpässe im Stromnetz effizient zu regeln, ergänzte Felix Müsgens. Die gute Nachricht: Da erneuerbare Energien zunehmend wettbewerbsfähig werden, können sie verstärkt in den Bereichen Wärme und Verkehr eingesetzt werden. Um diese Sektorenkopplung voranzubringen, müssten alle Energieträger in einen technologieoffenen Wettbewerb treten. Die beschlossene CO2-Bepreisung biete dafür eine wichtige Chance.  

Die globale Energiewende gestalten

Die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, ist eine globale Aufgabe. Deutschland muss sich daher in Zukunft stärker öffnen – gegenüber anderen Ländern und neuen Technologien. Wie die internationale Energiewende gelingen kann, diskutierten ESYS-Sprecher Dirk Uwe Sauer (Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe der RWTH Aachen), Philipp Wendel (Auswärtiges Amt), Kirsten Westphal (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Bernhard Zymla (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ). Sie stellten fest, dass die geopolitischen Auswirkungen der Energiewende stärker berücksichtigt werden müssen. Wichtige Öl- und Gaslieferanten wie Russland oder die Golfstaaten müssten jetzt die richtigen Weichen stellen und ihre Geschäftsmodelle auf klimafreundliche Energieträger umstellen. Unter dieser Voraussetzung wäre es möglich, in Zukunft beispielsweise grünen Wasserstoff aus solchen Ländern zu importieren. Auch Staaten wie Australien, Chile, Argentinien, Norwegen und Marokko kämen für eine Zusammenarbeit bei der Wasserstoffnutzung infrage. Wichtig seien klare Signale für Investoren und Partnerländer, die frühzeitig für den sich ändernden Energiebedarf Deutschlands sensibilisiert werden müssen.

Das Diskussionsforum „Digitaler, dezentraler, flexibler – das Energiesystem der Zukunft“ wurde vom Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) im Futurium in Berlin veranstaltet. Mit der Initiative geben acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Impulse für die Debatte über Herausforderungen und Chancen der Energiewende in Deutschland.

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