Was ist Kernfusion?

Wenn es um das Erschließen neuer Energiequellen geht, wird auch die Kernfusion genannt: Der Prozess, der der Sonne ihre Strahlkraft verleiht. Es ist das Ziel der Kernfusionsforschung, diese Reaktion auf der Erde nachzubilden und für die Stromerzeugung zu nutzen.

Aber: Was ist Kernfusion? Warum wird bei einer Kernfusion Energie frei? Und wie unterscheidet sie sich von der Kernspaltung? ESYS erklärt Grundlagen, Chancen und Herausforderungen.

Was ist Kernfusion?

Im Dezember 2022 rückte die Kernfusionsforschung wieder stärker in den Blick der Öffentlichkeit: Zum ersten Mal hatten Forschende eine Kernfusionsreaktion im Labormaßstab gestartet, die mehr Energie freigesetzt hat, als zuvor für den Start in die Brennstoffkapsel eingebracht wurde. Forschungserfolge wie diese, verbunden mit ambitionierten Start-ups, nähren die Hoffnung, dass in Zukunft eine weitere klimafreundliche Energiequelle verfügbar ist. Doch: Was ist Kernfusion? Wo steht die Kernfusionsforschung? Und ab wann ist die Kernfusion nutzbar?

Wer sich fragt: „Ist Kernfusion die Zukunft?“ erhält hier einen Überblick. Die Themenseite basiert auf der Publikation „Kernfusion als Baustein einer klimaneutralen Energieversorgung? Chancen, Herausforderungen, Zeithorizonte“.

Was bei einer Kernfusion passiert und wie ein Kernfusionsreaktor funktioniert

Was ist eine Kernfusion?

Eine Kernfusion ist ein Prozess, bei dem Atomkerne miteinander verschmelzen. Dabei entsteht ein Atom eines neuen Elements. Es enthält in seinem Kern mehr positiv geladene Teilchen (Protonen), als das bei den Ausgangsstoffen jeweils der Fall ist. Entsteht bei der Kernfusion ein Atomkern, der leichter ist als die Masse der beiden ursprünglichen Atomkerne zusammen, dann wird bei der Reaktion Energie in Form von Bewegungsenergie, zum Beispiel eines Neutrons, abgegeben.

Um zu fusionieren, müssen allerdings erst die Abstoßungskräfte zwischen den Atomkernen überwunden werden; denn diese sind jeweils positiv geladen und stoßen sich somit ab. Eine Kernfusion benötigt daher erst Energie, um zu starten. Diese kann beispielsweise durch einen Heizstrom („Magnetfusion“) oder durch Laserbeschuss („Laserfusion“) bereitgestellt werden.

Warum wird bei einer Kernfusion Energie frei?

Wenn bei der Kernfusion Atomkerne miteinander verschmelzen, bilden sie ein neues chemisches Element mit einem Atomkern, der leichter ist als die Masse der beiden ursprünglichen Atomkerne zusammen.

Diese sogenannte „Massendifferenz“ ermöglicht, dass bei der Reaktion Energie in Form von Bewegungsenergie eines Neutrons abgegeben wird. Denn, wie Albert Einstein es mit seiner bekannten Formel E = m·c2 (Energie ist gleich Masse mal Geschwindigkeit zum Quadrat) beschrieb, sind Masse und Energie gleichbedeutend. Ein Teil der Masse der Ausgangsstoffe wird also als Energie abgegeben. Will man die Energie nutzen, müssen die Teilchen eingefangen und abgebremst werden. Sie geben dann ihre Bewegungsenergie in Form von Wärme ab.

Was ist ein Kernfusionsreaktor und wie funktioniert er?

Um die Kernfusion in Zukunft zur Energiegewinnung einsetzen zu können, werden zwei Grundprinzipien erforscht: die Magnet- und die Trägheitsfusion. Für eine Fusion muss bei beiden ein sogenanntes Plasma gezündet werden. Es besteht aus ionisierten Atomen und deren Elektronen, die getrennt voneinander vorliegen.

Bei der Kernfusion durch magnetischen Einschluss – kurz Magnetfusion – wird ein Gas, das die Brennstoffe enthält, durch starke Magnetfelder im Reaktor eingeschlossen. Eine Heizung erhitzt es auf über 100 Millionen Grad Celsius, sodass sich das Plasma bildet: Die Atomkerne fusionieren. Dabei ist es entscheidend, dass das Plasma von den starken Magnetfeldern im Inneren der Reaktorkammer gehalten wird. Sonst berührt es die Innenwand, gibt seine Energie ab und beendet damit die Reaktion.

Bei der Trägheitsfusion wird mit hochenergetischen Laser- oder Ionenstrahlen auf eine kleine Brennstoffkapsel geschossen. Wenn ein Laser verwendet wird, spricht man auch von einer Laserfusion. Durch den Strahlenbeschuss wird das Brennstoffgemisch intensiv zusammengedrückt (über 100 Giga-Bar) und stark erhitzt (über 100 Millionen Grad Celsius). Durch die sehr kurze Einwirkzeit bleiben die Stoffe träge an Ort und Stelle, was letztlich zur Zündung des Plasmas führt. Die dabei freiwerdende Energie wird dann schlagartig als Bewegungsenergie der Teilchen nach außen abgegeben.

Bei beiden Reaktionen entstehen Neutronen, die auf der Innenwand des Reaktors abgebremst werden. Ihre Energie geben sie dabei als Wärme ab, die über einen Wärmekreislauf hinter der Innenwand abgeführt wird. Über Wärmetauscher und Turbinen werden mit dieser Wärme schließlich Generatoren in Bewegung gesetzt, die dann den gewünschten Strom produzieren. Kernfusionskraftwerke wären bei einer erfolgreichen Umsetzung also thermische Kraftwerke, die Strom produzieren und auch Wärme für Fernwärmenetze bereitstellen könnten.

Ist Kernfusion umweltfreundlich?

Die Frage lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten: Einerseits sind Kernfusionskraftwerke klimafreundlich, weil bei der Fusionsreaktion keine Treibhausgase entstehen. Damit könnten sie zu einer klimafreundlichen Stromversorgung beitragen. Andererseits entsteht bei einer Kernfusionsreaktion niedrig- bis mittelradioaktiver Abfall.

Wie bei allen anderen Energieanlagen gilt auch für die Kernfusion: Solange die Produktionsprozesse noch nicht auf eine klimaneutrale Arbeitsweise umgestellt sind, würden die Gewinnung der Rohstoffe, der Bau und der Abbau der Kraftwerke CO2-Emissionen verursachen.

Was der Unterschied zwischen Kernfusion und Kernspaltung ist

Wie unterscheiden sich Kernfusion und Kernspaltung?

Sowohl bei der Kernfusion als auch bei der Kernspaltung wird Energie freigesetzt, die in Atomkernen gebunden ist. Die Anzahl der Protonen im Kern macht dabei den Unterschied:

  • Bei der Kernfusion werden Ausgangsstoffe, die wenige Protonen im Atomkern besitzen, miteinander verschmolzen. Es entstehen Reaktionsprodukte mit einer höheren Protonenanzahl im Kern.
    Beispiel: Die Wasserstoff-Isotope Deuterium (ein Proton im Kern) und Tritium (ein Proton im Kern) fusionieren zum neuen Element Helium (zwei Protonen im Kern).
  • Bei der Kernspaltung werden Ausgangsstoffe mit einer sehr hohen Zahl an Protonen im Atomkern geteilt. Es entstehen Reaktionsprodukte, die weniger Protonen in ihrem Kern haben.
    Beispiel: Ein Uran-Isotop (92 Protonen im Kern) kann beim Beschuss mit Neutronen in ein Krypton-Isotop (36 Protonen im Kern) und ein Barium-Isotop (56 Protonen im Kern) gespalten werden.

Sind mit Kernfusionskraftwerken die gleichen Risiken verbunden wie mit Atomkraftwerken?

Die kurze Antwort lautet: Nein. Ein entscheidender Unterschied ist, dass bei Kernspaltungskraftwerken (Atomkraftwerken) meist ein gezieltes Eingreifen notwendig ist, um eine ungewollte Kettenreaktion zu verhindern. Bei der Kernfusion kommt die Reaktion hingegen schnell selbst zum Erliegen, wenn die Temperaturen oder Drücke im eingeschlossenen Plasma zu gering sind.

Bei beiden Kraftwerkstypen entstehen radioaktive Abfälle, abhängig davon, welche Materialien und Brennstoffe im Reaktor verwendet werden. Bei einer Kernfusion ist dieser Abfall schwach- bis mittelradioaktiv und müsste daher etwa 100 Jahre gelagert werden, um abzuklingen. Zum Vergleich: Der hochradioaktive Abfall eines Atomkraftwerks muss in Deutschland laut dem Endlagergesetz für bis zu eine Million Jahre verwahrt werden.

Was die Forschung zur Kernfusion bis jetzt weiß

Wie hat sich die Kernfusionsforschung historisch entwickelt?

Die Idee, die Kernfusion zur Energiegewinnung zu nutzen, ist bereits über 100 Jahre alt. Einige wichtige Momente in ihrer Geschichte sind diese hier:

  • 1920: Ein Aufsatz erwähnt die Kernfusion
    Der britische Astrophysiker Arthur Eddington beschreibt in einem Artikel seine Vision, die Kernfusion zur Energiegewinnung zu nutzen.
  • 1934: Die erste Kernfusionsreaktion wird durchgeführt
    Mark Oliphant, Paul Hareck und Ernest Rutherford gelingt die erste gezielt herbeigeführte Kernfusionsreaktion. Sie verwenden dafür das Wasserstoff-Isotop Deuterium und erhalten als Reaktionsprodukt Helium.
  • 1958: Die militärische Geheimhaltung wird aufgehoben
    In den 1950er Jahren erforschen Wissenschaftler*innen die Kernfusion vorrangig zu militärischen Zwecken. Die damit verbundene militärische Geheimhaltung wird 1958 für die damaligen Konzepte der Magnetfusion aufgehoben. Dadurch können sich Forschende auf der zweiten „Atoms for Peace“-Konferenz in Genf zum Stand der Kernfusionsforschung austauschen. Mit diesem Schritt verstärkt sich die internationale Zusammenarbeit in der zivilen Kernfusionsforschung deutlich.
  • 1964: Erste Experimente zur Laserfusion werden durchgeführt
    Mit der Entdeckung des Lasers in den 1960ern erweitert sich das technische Spektrum der Kernfusionskonzepte: Neben der Magnetfusion beginnt nun auch die Forschung an der Trägheits- bzw. Laserfusion. Die sowjetischen Wissenschaftler Nikolai Bassow und Andrei Krochin führen ab 1964 dazu systematisch Experimente durch.
  • 1988: Das internationale Kooperationsprojekt ITER wird gegründet
    Die USA, die Sowjetunion, Japan und die Europäische Gemeinschaft gründen das internationale Joint Venture ITER: International Thermonuclear Experimental Reactor. Mit dem Vorhaben wollen Forschende zeigen, dass die Magnetfusion im Kraftwerkmaßstab funktionieren kann und somit die Kernfusion als Energiequelle technisch umsetzbar ist.

Welche Fortschritte hat die Kernfusionsforschung in letzter Zeit erreicht?

Die Kernfusionsforschung konnte in den letzten Jahren verschiedene Forschungserfolge vorweisen. Hier eine chronologische Auswahl (Stand: August 2024):

  • Dezember 2021
    In einem Magnetfusionsexperiment mit dem chinesischen Experimental Advanced Superconducting Tokamak (EAST) haben Forschende einen Rekord aufgestellt: Das Plasma konnte für etwa 17,5 Minuten stabil gehalten werden. Die Anlage gehört zu den Tokamaks, einem Anlagentyp der Magnetfusion.
  • Dezember 2022
    An der US-amerikanischen National Ignition Facility (NIF) konnten Wissenschaftler*innen mit einer Laseranlage eine Fusionsreaktion herbeiführen, bei der erstmals mehr Energie erzeugt wurde, als zuvor ins Plasma zum Start der Fusion eingebracht wurde. Allerdings ist in dieser Energiebilanz nicht der gesamte Energieeinsatz berücksichtigt, der für die Fusionsreaktion notwendig war.
  • Februar 2023
    Im deutschen Testreaktor Wendelstein 7-X konnte das Plasma mittels magnetischem Einschluss für rund 8 Minuten gehalten werden. Die Forschenden erreichten diesen Rekord in einem Stellarator, einem Reaktorkonzept, das zur Magnetfusion zählt.
  • Oktober 2023
    Mit dem inzwischen stillgelegten europäischen Forschungsreaktor JET, ebenfalls einem Tokamak, wurde die bisher größte Menge an Energie im Rahmen eines Kernfusionsexperiments erzeugt. Eine 5,2 Sekunden andauernde Plasmaentladung führte zu einer Energiefreisetzung von 69 Megajoule. Die Menge der eingesetzten Energie für die Zündung des Plasmas wurde dabei – wie in anderen Experimenten der Magnetfusion – allerdings noch nicht überschritten.

Wie die Zukunft der Kernfusion aussehen könnte

Wann ist die Kernfusion nutzbar?

Die Kernfusionsforschung hat in den letzten Jahren verschiedene Fortschritte erzielt. Dennoch ist sie von einem regulären Kraftwerksbetrieb noch weit entfernt. Unterschiedliche Herausforderungen müssen bis zu einem ersten Kraftwerk noch gelöst werden, unter anderem:

  • Energiebilanz: Die Energieausbeute aus den Kernfusionsreaktionen muss um ein Vielfaches gesteigert werden, um perspektivisch Energie ins Netz einspeisen zu können.
  • Brennstoffherstellung: Es muss eine technische Lösung gefunden werden, um den häufig genutzten Brennstoff Tritium im Kernfusionsreaktor selbst zu erzeugen. Außerdem müssen Verfahren entwickelt werden, um die Brennstoffkapseln in ausreichender Menge und Qualität zu produzieren, um ein Kraftwerk zuverlässig zu versorgen.
  • Bessere Laser und Magneten: Die Laser müssen leistungsstärker werden und mit höherer Frequenz ihre Energie abgeben können. Bei den Magneten gilt es unter anderem, deren Größe zu verringern und weniger Energie für ihre Kühlung aufzubringen.
  • Robustere Materialien: Es müssen widerstandsfähige Materialien für die Reaktorinnenwand entwickelt, getestet und industriell hergestellt werden. Sie müssen vor allem hohe Temperaturen und Neutronenbeschuss aushalten und wenig korrodieren, um langlebig zu sein.

Mit Blick auf diese Herausforderungen rechnen zahlreiche Fachleute damit, dass ein erstes Kraftwerk frühestens in etwa 20 bis 25 Jahren Strom ins Netz einspeisen könnte. Das wäre dann ein erstes Kraftwerk seiner Art, dem weitere folgen müssten, um eine Skalierung und damit wirtschaftliche Anwendung zu erreichen. Dieser Prozess wird neben der Kraftwerksentwicklung ebenfalls Zeit in Anspruch nehmen. Damit kann die Kernfusion keinen entscheidenden Beitrag leisten, um die bis 2045 für Deutschland gesetzten Klimaziele zu erreichen.

Welche Rolle könnte die Kernfusion als Energiequelle in der Zukunft spielen?

Gelingt die Umsetzung dieser anspruchsvollen Technologie, die sich aktuell noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet, hätte sie das Potenzial, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zur klimafreundlichen Energieversorgung beizutragen. Ein Vorteil der Kernfusion wäre beispielsweise, dass der Brennstoff zu hohen Anteilen vor Ort hergestellt werden könnte.

Zum Zeitpunkt der Umsetzung würde die Kernfusion auf ein Energiesystem treffen, das sich gegenüber dem heutigen verändert hat: Es wird voraussichtlich kleinteiliger sein, viel mehr Anwendungen werden Strom direkt nutzen und es wird maßgeblich auf erneuerbaren Energien basieren.

Kernfusionskraftwerke wären Großkraftwerke, wie Braunkohle- und Atomkraftwerke heute, die stetig Strom ins Netz einspeisen, um wirtschaftlich zu sein. In ein System mit sehr vielen kleineren Erzeugungsanlagen ließen sich Kernfusionskraftwerke trotzdem integrieren, wenn im Stromsystem ausreichend Flexibilität vorhanden ist. Denn dann könnten die großen Strommengen der Kraftwerke auch bei einer geringen Stromnachfrage sinnvoll genutzt werden, beispielsweise zur Produktion von Wasserstoff per Elektrolyse.

Ob sich die Kernfusion zukünftig gegenüber anderen emissionsarmen Technologien am Strommarkt durchsetzen kann, hängt von den Kosten ab, zu denen die Kraftwerke Strom bereitstellen. Die Kosten sind aber aus heutiger Sicht nicht zuverlässig zu bestimmen, wegen des frühen Entwicklungsstands der Technologie.

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