Hartmut Weyer (TU Clausthal) beschrieb in seinem Vortrag Herausforderungen und Ansätze für ein neues Strommarktdesign. © acatech/Busch

10. Trialog zur Energiewende: flexibel, sicher, effizient – der Strommarkt der Zukunft

24. Oktober 2018

Erneuerbare Energien decken heute ein Drittel der Stromversorgung, bis 2030 sollen es 65 Prozent sein. Das verändert das Marktgefüge: Um Schwankungen auszugleichen, müssen Kraftwerke künftig flexibel betrieben, Speicher aufgebaut und Lastmanagement ermöglicht werden. Gleichzeitig soll Strom aus Wind- und Solaranlagen auch im Wärme- und Verkehrssektor verwendet werden. Doch wie sieht ein effizienter Strommarkt aus, der Anreize für Technologien setzt und Versorgungssicherheit garantiert? Darüber diskutierten Energiefachleute beim Trialog der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform und des Akademienprojekts ESYS am 23. Oktober in Berlin. Sie forderten, das System aus Steuern, Abgaben und Umlagen zu reformieren und CO2-Emissionen sektorübergreifend zu bepreisen.

Strom aus regenerativen Energiequellen wird zum wichtigsten Energieträger der Zukunft. Um die Erneuerbaren besser in das Gesamtsystem zu integrieren und die Klimaschutzziele bis 2030 effizienter zu erreichen, muss das Marktdesign jedoch angepasst werden. Flexibilität und ein fairer Wettbewerb zwischen Strom und anderen Energieträgern wie Benzin und Erdgas stehen dabei im Vordergrund. Nur so lässt sich die schwankende Erzeugung ausgleichen, und nur so können die Emissionen im Wärme- und Verkehrssektor sinken. Doch wie muss der Markt beschaffen sein, damit Energie flexibler erzeugt und verbraucht werden kann? Wie muss das System aus Umlagen, Abgaben und Steuern reformiert werden, damit alle Energieträger zu gleichen Bedingungen auf dem Markt gehandelt werden können? Im 10. Trialog zur Energiewende „Strommarkt 2.0 – flexibel, sicher, effizient“ diskutierten 50 Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über Ansätze für ein Marktdesign, das eine klimaschonende und zuverlässige Energieversorgung ermöglicht.

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Eröffnet wurde die Veranstaltung von Gesine Schwan, Präsidentin der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform. Hartmut Weyer (Technische Universität Clausthal), der die ESYS-Arbeitsgruppe „Strommarktdesign“ zusammen mit Felix Müsgens (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg) leitet, schilderte, warum das heutige Marktdesign angepasst werden muss: Bisher seien Energieträger in den einzelnen Sektoren insbesondere hinsichtlich ihrer CO2-Emissionen unterschiedlich stark belastet, Kraftstoffe im Verkehr beispielsweise deutlich höher als Erdgas im Wärmemarkt. Dadurch werde die Sektorenkopplung ausgebremst, weil der Wettbewerb zwischen den Energieträgern und den Sektoren verzerrt wird. „Ein wirksamer CO2-Preis würde die Fossilen verteuern und erneuerbare Energieträger wirtschaftlicher machen. Das Marktdesign der Zukunft muss daher umweltschädigende Effekte einpreisen und ein Level Playing Field für alle Energieträger schaffen“, betonte Hartmut Weyer.

Kathrin Thomaschki vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie knüpfte in ihrem Statement daran an und machte deutlich, dass gleiche Bedingungen für alle Energieträger (Level Playing Field) allein aber nicht ausreichen. Zusätzlich müssten etwa die Strom-, Wärme- und Oberleitungsnetze ausgebaut werden. Tim Meyer (Naturstrom AG) legte in seinem Impuls einen Schwerpunkt auf die Finanzierung der Energiewende: Der Strompreis müsse entlastet und die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren neu verteilt werden. Denkbar wäre beispielsweise ein Fonds zur Finanzierung der noch bestehenden EEG-Kosten, wie ihn der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer schon vor einigen Jahren vorgeschlagen hatte. Eine CO2-Abgabe sieht er als zentrale Steuerungsgröße der Energiewende an. Linus Herzig von Germanwatch kam zu einem ähnlichen Schluss: Nur eine sektorenübergreifende CO2-Bepreisung könne helfen, fossile Energieträger aus dem Markt zu drängen. Besonders vielversprechend sei die Einführung eines Mindestpreises, der den bestehenden Emissionshandel ergänzt. Da es für ein einheitliches internationales Vorgehen derzeit keine Mehrheiten gebe, könnte Deutschland die CO2-Bepreisung in Vorreiterallianzen mit Staaten wie Frankreich und den Niederlanden vorantreiben.

In Workshops vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Trialogs konkrete Fragestellungen. Eine Gruppe diskutierte über notwendige Rahmenbedingungen für die Sektorenkopplung. Die Fachleute betonten, dass ein sektorübergreifender CO2-Preis im deutschen Energiesystem von weiteren Instrumenten flankiert werden müsse. Denkbar seien etwa eine Reform der Stromsteuer, Umschichtungen der gegenwärtigen EEG-Kosten und sozialpolitische Maßnahmen. Die zweite Gruppe beschäftigte sich mit der Frage, welche Anreize dabei helfen könnten, kurzfristige Flexibilität auf Erzeuger- und Verbraucherseite zu schaffen. Wichtige Diskussionspunkte waren die Umgestaltung der Netzentgelte, die Dynamisierung der Strompreise sowie regionale Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren, um Netzengpässe strukturell zu vermeiden.

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Kooperation zwischen der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform und dem Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ stärkt die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. In den Trialogen tauschen sich ESYS-Fachleute mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik, Wirtschaft und organisierten Zivilgesellschaft aus. Die Veranstaltungen werden dazu genutzt, neue Themen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und Fragestellungen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Anschlussfähigkeit zu schärfen.

Beteiligte Institutionen

Die HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform unterstützt durch ihre Trialoge den kommunikativen Austausch und die Verständigung zwischen den verschiedenen Stakeholdergruppen Politik, Wirtschaft und organisierte Zivilgesellschaft mit Medien und Wissenschaft zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen. Durch die Auswertung dieser Multi-Stakeholder-Treffen werden Grundkonsense deutlich, die die Formulierung gemeinwohlorientierter Politik vorbereiten. Eine Trialog- Veranstaltung dauert einen gesamten Arbeitstag, um neben den Impulsvorträgen ausreichend Zeit für die Diskussion zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Stakeholdergruppen zu gewährleisten.

Mit der Initiative „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) geben acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Impulse für die Debatte über Herausforderungen und Chancen der Energiewende in Deutschland. Im Akademienprojekt erarbeiten über 100 Fachleute aus Wissenschaft und Forschung Handlungsoptionen zur Umsetzung einer sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Energieversorgung. Die Federführung des Projekts liegt bei acatech.

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