Helfen Sektorziele, den Klimaschutz effizient voranzutreiben?

Sektorziele 2030 aus dem Klimaschutzplan 2050 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten) © Bundesumweltministerium (2017). Klimaschutz in Zahlen 2017

Deutschland will bis zum Jahr 2050 weitgehend treibhausgasneutral werden. Dieses Leitbild hat die Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 festgeschrieben. Der Plan sieht erstmals Klimaziele für einzelne Sektoren vor: Er enthält klare Vorgaben, wie viele Emissionen Energie- und Landwirtschaft, Industrie, Gebäude und Verkehr bis 2030 einsparen müssen. Diese Sektorziele sollen im für 2019 angekündigten Bundesklimaschutzgesetz verankert werden. Doch sind Einzelziele wirkungsvoll oder braucht es sektorübergreifende Instrumente für den Klimaschutz? Franzjosef Schafhausen betont die Lenkungswirkung von Zielen und hält die Sektorziele für realistisch. Felix Müsgens argumentiert, Einzelziele bremsen die Sektorkopplung aus und verteuern die Energiewende. Mit einem einheitlichen CO2-Preis könnten die Emissionen in allen Sektoren hingegen effizient sinken.


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„Sektorziele verteuern den Klimaschutz und behindern die Sektorenkopplung“


Klimaschutz ist im Interesse zukünftiger Generationen dringend erforderlich. Er ist jedoch nicht zum Nulltarif zu haben. Deshalb ist die Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase eine zentrale gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Aufgabe. Schien dies bisher breiter Konsens, flackern aktuell in einigen Staaten (z. B. USA, Australien und Polen) Diskussionen zu Notwendigkeit und Akzeptanz wieder auf, die den Klimaschutz zurückzuwerfen drohen. In einem solchen Umfeld sollte man auch in Deutschland Klimaschutz betreiben, der zumindest die gewünschten politischen Ziele nicht mit unnötig hohen Kosten erreicht. Klimaschutz sollte also ökonomisch effizient erfolgen.

Ein einheitlicher CO2-Preis senkt die Kosten

Ein einheitlicher CO2-Preis stellt sicher, dass in allen Sektoren der Volkswirtschaft CO2-Emissionen unterbleiben, deren Vermeidung günstiger ist als der Preis. In diesem Zusammenhang ist weniger erheblich, ob der einheitliche Preis durch ein unmittelbares Instrument (z. B. eine CO2-Steuer) erreicht wird oder mittelbar (z. B. über einen sektorenübergreifenden CO2-Handel. Ein einheitlicher Preis verhindert, dass in einem Sektor Maßnahmen zur Emissionsvermeidung ergriffen werden, die 100 Euro je Tonne kosten, während in einem anderen Sektor weitere ungenutzte Potentiale zur Vermeidung in Höhe von 10 Euro je Tonne bestehen. Dies wäre offensichtlich nicht optimal, da man denselben Klimaschutz erreichen könnte, indem der Sektor mit 10 Euro mehr vermeidet und der Sektor mit 100 Euro weniger. Die volkswirtschaftliche Dividende (in diesem Fall die eingesparten Vermeidungskosten von 90 Euro pro Tonne) könnte beispielsweise Verbraucher entlasten oder in die Technologieentwicklung investiert werden. Sektorziele, also spezifische Reduktionsziele für unterschiedliche volkswirtschaftliche Sektoren, machen dagegen die Emissionsreduktion unnötig teuer. Sie bewirken, dass die Vermeidung nicht da stattfindet, wo die Emission am kostengünstigsten eingespart werden kann, sondern „zwangsweise“ auch in Bereichen mit hohen CO2-Vermeidungskosten.

© B-TU

  • Felix Müsgens
  • Brandenburgische Technische Universität Cottbus

Der Ökonom ist Inhaber des Lehrstuhls für Energiewirtschaft an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus (B-TU). Seine Forschungsschwerpunkte sind Energieökonomik, Marktdesign und Modellierung.

Sektorziele bremsen Sektorenkopplung aus

Voraussichtlich wird elektrische Energie zukünftig vermehrt auch in den Sektoren Wärme und Verkehr eingesetzt, um dort fossile Energieträger zu ersetzten und die erforderliche Emissionsreduktion zu erreichen. Unsicher ist jedoch heute, wann für welche Anwendung wieviel Strom eingesetzt werden sollte. Durch die Vorgabe von Sektorzielen werden hier bereits Vorfestlegungen getroffen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht optimal sind. Sektorziele verhindern so ein „Level Playing Field“ in der Sektorenkopplung.

Einheitlicher CO2-Preis für mehr Verteilungsgerechtigkeit

Neben den volkswirtschaftlichen Kosten, die eindeutig für ein einheitliches CO2-Preissignal sprechen, sind auch Verteilungsfragen zu diskutieren. Auch hier bietet ein einheitlicher CO2-Preis Chancen. Es ist fraglich, ob die bisher politisch ausgehandelten Beiträge einzelner Sektoren überhaupt dem Mehrheitswillen der Bevölkerung entsprechen. Mit einem einheitlichen CO2-Preissignal werden Emissionen in allen Sektoren gleichbehandelt. Sollen dennoch einzelne Sektoren auf Kosten anderer Sektoren entlastet werden, müsste dies zunächst begründet werden, könnte dann jedoch auch bei einheitlichem CO2-Preis durch andere Instrumente (beispielsweise Steuererleichterungen für Industrie im internationalen Wettbewerb) erreicht werden.

„Die Sektorziele sind wissenschaftlich fundiert und können einen Beitrag zum Klimaschutz leisten“


Grundsätzlich sind Ziele sinnvoll! Realisierbare Ziele können Prozesse in Gang setzen, die zu neuen Ufern führen und bisher nicht erkannte Optionen und Potenziale erschließen. Sie können wirksame Impulse für Kreativität und Innovation ausstrahlen. Unrealistische oder unklare Ziele dagegen führen zu Verunsicherung, Spekulation, irrationalem Verhalten, undifferenzierten Widerständen sowie Verlusten für alle beteiligten Akteure.

Realistisch sind Ziele insbesondere dann, wenn sie aus einer belastbaren und transparenten Basis hergeleitet sowie konkret formuliert sind. Ziele sollten im Vorfeld mit den Adressaten erörtert werden, Verlässlichkeit signalisieren und dennoch auf Änderungen relevanter Rahmenbedingungen reagieren können. Wichtig ist, dass die Ziele mit einem erfolgsorientierten Maßnahmenbündel verknüpft sind. So lassen sie sich möglichst widerspruchsfrei in das gesamtpolitische Umfeld integrieren, Synergieeffekte können genutzt werden.

© ewi ER&S

  • Franzjosef Schafhausen
  • ewi ER&S

Der Ökonom leitete bis 2016 die Abteilung „Klimaschutzpolitik, Europa und Internationales“ im Bundesumweltministerium. Derzeit ist er als Senior Advisor am Institut ewi Energie Research & Scenarios tätig.

Neue Aktionsfelder schaffen Zielkonflikte

Soll ein neues Aktionsfeld wie der Klimaschutz erschlossen werden und Konflikte mit anderen Politikbereichen bestimmen von vorneherein das Vorgehen, ist es schwierig, Ziele zu definieren. Dabei sind Konflikte unvermeidlich: Wirtschafts- und Technologiepolitik, Finanz- und Verkehrspolitik haben ureigenste Ziele und Instrumentenpaletten. Sie setzen neuen politischen Zielen Widerstände entgegen.

Realistische Sektorziele

Im Klimaschutzplan 2050 hat die Bundesregierung klare Ziele für die einzelnen Sektoren festgelegt. Doch erfüllen sie die genannten Ansprüche an realistische Ziele? Schauen wir genauer hin:

  1. Die Sektorziele sind wissenschaftlich unterfüttert, sehr konkret und in einem klaren zeitlichen Rahmen formuliert. Darüber hinaus weisen sie Flexibilität bzw. Spannbreiten auf.
  2. Sie berücksichtigen bereits wirksame Instrumente wie den Europäischen Emissionshandel oder ordnungsrechtliche Vorgaben im Gebäudebereich. Einbezogen sind auch die mittlerweile kaum noch überschaubaren Förderungsmaßnahmen auf europäischer, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.
  3. Die Ziele versuchen, künftige technologisch-wirtschaftliche Entwicklungen zu erfassen. Sie sehen einen Überprüfungsmechanismus vor, um unerwartete Entwicklungen spiegeln zu können. Dies schließt Effekte ein, die sich aus der Sektorkopplung ergeben.
  4. Der Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen wird fortgesetzt.
  5. Die Umsetzung der Ziele ist eingebunden in einen transparenten Prozess der supranationalen, nationalen, regionalen und lokalen Berichterstattung.
  6. Der Klimaschutzplan 2050 enthält zudem Indikationen für die Erweiterung des Maßnahmenkatalogs. Dies zielt letztlich auf einen, dem deutschen technologischen und wirtschaftlichen Leistungsvermögen angemessenen Beitrag zur Umsetzung des Abkommens von Paris.
  7.  Allerdings lässt die Tatsache, dass seit dem Start der nationalen Klimaschutzpolitik im Jahr 1990 zumindest zwei Ressorts – Bauen und Verkehr – ihre Aufgaben nicht wahrgenommen haben und selbst die Umsetzung der vom Kabinett verabschiedeten Maßnahmen be- und verhinderten, befürchten, dass politisch gesetzten Ziele teilweise nicht ernst genommen und ihre konsequente Umsetzung verweigert wird.

Entwicklungen in der Vergangenheit mögen als Beleg dafür dienen, dass auch die immense klimaschutzpolitische Herausforderung gelingen kann. Ziele – so selbstverständlich sie seit Jahrzehnten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft sind – sollten auch hier ihren Beitrag leisten.

ESYS-Debatte I November 2018