Nadelöhr negative Emissionen: Lassen sich die internationalen Klimaziele nur erreichen, wenn der Atmosphäre CO2 entzogen und gespeichert wird?

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Immer mehr Klimaforscher sind überzeugt davon, dass sich die globale Erwärmung allein durch sinkende Emissionen nicht stoppen lassen wird. Sie gehen einen Schritt weiter und wollen der Atmosphäre Treibhausgase entziehen. Die Idee: Kohlendioxid wird in Produktionsprozessen oder aus klimaneutralen Biomassekraftwerken abgeschieden und weiterverarbeitet oder in der Erde gelagert – sogenannte negative Emissionen. Der Sozialwissenschaftler Oliver Geden fordert, endlich mehr über dieses Thema zu forschen und geeignete Technologien zu entwickeln, während Christoph Bals von Germanwatch in Teilen skeptisch bleibt.


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„Nur wenn wir der Atmosphäre CO2 entnehmen, ist das Pariser Klimaabkommen umsetzbar“


Zum Erreichen der beim Pariser Klimagipfel vereinbarten Ziele genügt es nicht, die globalen Emissionen gegen null zu bringen. Es ist außerdem notwendig, im großen Umfang CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen. Der Grund: Um die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C, möglichst sogar unter 1,5°C zu begrenzen, darf die Menschheit in Zukunft insgesamt noch höchstens 800 Gigatonnen CO2 emittieren. Weil diese noch verfügbaren CO2-Budgets absehbar überzogen werden, braucht es Technologien, mit denen die Weltgemeinschaft ihre „Klimaschulden“ zurückzahlen kann. Außerdem werden sich die Emissionen in Landwirtschaft oder Luftverkehr nicht komplett auf null bringen lassen. Durch sogenannte „negative Emissionen“ in anderen Sektoren kann dies ausgeglichen werden.

Für die Einhaltung der 2-Grad-Grenze werden laut dem UNEP Emissions Gap Report negative Emissionen im Umfang von 670 Gigatonnen notwendig sein. Für 1,5°C kalkuliert man sogar 810 Gigatonnen CO2, was dem 20-fachen des derzeitigen weltweiten Jahresausstoßes entspricht. Bislang favorisieren Klimaökonomen den Anbau schnellwachsender Biomasse und deren Verfeuerung in Kraftwerken sowie die Abscheidung und Speicherung des CO2. Denkbar wären aber auch eine großflächige Wiederaufforstung, die Steigerung der CO2-Aufnahmekapazität von Böden und Ozeanen oder die direkte CO2-Abscheidung aus der Umgebungsluft. In der Praxis liefe es wohl darauf hinaus, von allem etwas zu machen, je nach nationalen Begebenheiten und politischen Präferenzen.

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  • Oliver Geden
  • Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Der Sozialwissenschaftler leitet die Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Aktuell beschäftigt er sich vor allem mit der EU-Energiepolitik, der Energieunion, negativen Emissionen und der strategische Politiksteuerung. Im Projekt ESYS engagiert er sich in den Arbeitsgruppen „Bioenergie“ und „Energieunion“.

In der Klimapolitik spielt all dies bislang jedoch überhaupt keine Rolle, obwohl der Weltklimarat IPCC seit Jahren auf die Notwendigkeit negativer Emissionen hinweist. Ein nennenswertes Forschungsprogramm zu BECCS gibt es nur in Großbritannien. Anwendungsreife Technologieoptionen existieren weltweit noch nicht, ihre Entwicklung wird kaum gefördert, Kostenschätzungen bleiben vage, Risiken sind unzureichend erforscht.

Herausforderungen für Forschung und Politik

Gefordert sind nun die klimapolitischen Vorreiter, also auch die EU und Deutschland. Die bisherigen CO2-Minderungsziele von 80 bis 95 Prozent bis 2050 reichen für einen fairen Beitrag zum Erreichen der Paris-Ziele nicht aus. Zur Jahrhundertmitte müsste die Nulllinie erreicht und danach deutlich unterschritten werden. Modellrechnungen ergeben, dass die EU bis zum Jahr 2100 mehr als 50 Gigatonnen Negativemissionen liefern müsste; auf Deutschland entfielen dann 10 Gigatonnen.

Wollen politische Entscheidungsträger diese Herausforderung ernsthaft annehmen, dann sind zunächst einmal großangelegte Forschungsprogramme notwendig. Parallel wäre auf UN-Ebene zu klären, welche Länder global die Hauptlast zu tragen hätten. Erst dann ist eine Integration in die Klimapolitik sinnvoll, also ein Mix aus Technologieförderung und neuen Regularien zur Anrechnung der CO2-Entnahme auf klimapolitische Verpflichtungen.

Länder, die für sich in Anspruch nehmen, wissenschaftsbasierte Klimapolitik zu betreiben, werden sich zu einem langfristigen Minderungsziel von weit über 100 Prozent bekennen müssen, und somit zum umfangreichen Einsatz von Negativemissionstechnologien. Wer sich dazu nicht durchringen kann, hat die Pariser Klimaziele faktisch schon abgeschrieben.

„Eine ernsthafte Umsetzung von Paris erzwingt den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft“


Das Pariser Klimaabkommen orientiert sich am Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich weniger als 2° C, wenn nicht gar 1,5°C zu begrenzen. Dieses Temperaturlimit soll viele große Zuspitzungen der globalen Klimakrise vermeiden. Das weltweit noch verfügbare CO2-Budget ist äußerst begrenzt, wenn die Ziele erreicht werden sollen. Der Weltklimarat IPCC veröffentlicht 2018 einen Sonderbericht, in dem einerseits die Notwendigkeit dieser Ziele begründet  wird und andererseits Pfade, um die sehr ehrgeizigen Ziele zu erreichen, wissenschaftlich diskutiert werden.

Die vom IPCC genutzten Modelle sind in einiger Hinsicht recht optimistisch, sie haben jedoch in wichtigen Bereichen blinde Flecken. Sie unterschätzen etwa die Technologielernkurven – zum Beispiel in Bezug auf Photovoltaik und Speicher. Deren Kosten werden damit über-, ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit unterschätzt.  Auch wird die Möglichkeit des Energiesparens durch Verhaltensänderung unterschätzt. Es ist ja nicht auszuschließen, dass viele Vertreter der Gattung Homo Sapiens ihre Weisheit nutzen und bescheidener leben, zumal sie durch Anreize – auch des Gesetzgebers – dorthin geschubst werden würden.

Aktuelle Strategien wollen „nur“ Emissionen begrenzen und bis 2050 auf null zurückführen, mit dem Ziel, den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten. Das geht aber nur, wenn der Höhepunkt der weltweiten Emissionen nicht später als 2020 liegt. Wer aber den Temperaturanstieg mit gutem Grund auf weniger als 1,5°C begrenzen oder in diesem Jahrhundert dahin zurückführen will, der kommt schon jetzt nicht darum herum, in den nächsten Jahrzehnten in erheblichem Ausmaß CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszuholen.

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  • Christoph Bals
  • Germanwatch

Der Theologe nimmt als Politischer Geschäftsführer von Germanwatch regelmäßig Stellung zu umwelt-, klima- und entwicklungspolitischen Themen. Er hat die Umweltorganisation im Jahr 1991 mit gegründet und hat seitdem viele Klimaschutzinitiativen mit initiiert, zum Beispiel die Klimaallianz Deutschland, die Stiftung Zukunftsfähigkeit und die Renewables Grid Initiative (RGI).

Nachhaltige Lösungen für negative Emissionen

Klimaökonomen favorisieren dafür bislang den Anbau schnellwachsender Biomasse und deren Verfeuerung in Kraftwerken sowie die Abscheidung und Speicherung des CO2. Doch es spricht einiges dafür, dass diese auf den ersten Blick einfache Lösung in großem Ausmaß zu Land Grabbing, Menschenrechtverletzungen und zum Verlust an Artenvielfalt führen könnte – und wegen der Flächenkonkurrenz zu steigenden Nahrungsmittelpreisen. Auch die Düngung der Meere, damit diese viel CO2 aufnehmen können, hat absehbar sehr negative Auswirkungen. Zum Glück gibt es vielversprechendere Optionen. Die Fähigkeit von Ökosystemen, CO2 aufzunehmen, kann auch nachhaltig genutzt werden: zum Beispiel durch Humusaufbau in landwirtschaftlichen Böden, was zusätzlich deren Fruchtbarkeit erhöht, die Sanierung von degradierten Flächen, die Wiederaufforstung von artenreichen Wäldern oder Algenzucht in wenig belebten küstennahen Wüstengegenden.  

Letztere könnte zudem einen (bisher noch kaum bekannten) Einstieg in die solare Kreislaufwirtschaft ermöglichen: mit CO2 aus der Atmosphäre erzeugte Algenbiomasse könnte den Grundstoff für Carbonfasern bilden, die mit solarem Strom erzeugt werden. Perspektivisch könnten sie in den nächsten Jahrzehnten die meisten Stahlanwendungen ersetzen. Und am Ende ihrer Nutzung könnte die Kohlenstofffaser ohne die Risiken und Kosten der gasförmigen geologischen Lagerung von CO2. etwa in alten Kohleminen dauerhaft gelagert werden. Modellrechnungen zeigen: Wenn 70 Prozent des weltweit erzeugten Stahls derart in einer ab 2050 treibhausgasneutralen Welt durch Carbonfasern ersetzt würden, könnte bis 2300 schrittweise alles von den Menschen freigesetzte CO2 wieder aus der Atmosphäre geholt werden. Auch in der Chemieindustrie wird bereits untersucht, wie Kohlenstoff genutzt werden kann, der nicht aus Kohle, Öl und Gas, sondern aus der Atmosphäre stammt. Die Debatte um den ernsthaften Einstieg in die Kreislaufwirtschaft hat begonnen.

ESYS-Debatte I November 2017