Andreas Kuhlmann (dena), Eberhard Umbach (ESYS) und Holger Lösch (BDI) (v.l.n.r.) legen die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Studienvergleich dar. © Pedro Becerra

Energiewendestudien: Jetzt langfristige Rahmenbedingungen gestalten und technologieoffene Anreize setzen

20. Februar 2019

In einer gemeinsamen Initiative haben die deutschen Wissenschaftsakademien mit ihrem Projekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Deutsche Energie-Agentur (dena) Empfehlungen für sieben Handlungsfelder vorgelegt, damit Deutschland die Energiewende zum Erfolg führen und seine Klimaziele für das Jahr 2050 erreichen kann. Voraussetzung sei rasches und entschlossenes Handeln der Politik. Bereits in den kommenden Monaten solle ein umfassendes Maßnahmenpaket den Grundstein für umfangreiche Investitionen legen. Dies betonten ESYS, BDI und dena, die unabhängig voneinander Grundsatzstudien zur Machbarkeit der Energiewende herausgegeben haben, auf einer gemeinsamen Veranstaltung am Mittwoch in Berlin.

Wichtig seien Impulse in allen relevanten Handlungsfeldern: für erneuerbare Energien, flexible Lasten und regelbare Kraftwerke, erneuerbare synthetische Energieträger, neue Technologien im Verkehr, energieeffiziente Gebäude, die Vermeidung von Industrieemissionen und eine ganzheitliche Steuerung der Energiewende. Der jährliche Nettoausbau der erneuerbaren Energien müsse zum Beispiel nach Einschätzung von ESYS, BDI und dena auf mindestens sechs Gigawatt steigen; 50 Prozent mehr, als im Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2017 vorgesehen. Gleichzeitig müssten die erneuerbaren Energien in das Stromnetz integriert werden. Dafür müsse es entsprechend aus- und intelligent umgebaut werden. Bei der jährlichen Gebäudesanierungsrate sei eine Erhöhung von heute einem Prozent auf mindestens 1,4 bis 2,0 Prozent notwendig. Schließlich brauche Deutschland zum Erreichen ambitionierter Klimaziele im Jahr 2050 erneuerbare synthetische Energieträger im Umfang von 200 bis zu 900 Terawattstunden. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 lag der gesamte Primärenergieverbrauch Deutschlands bei rund 3.800 Terawattstunden.

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Verzögerungen in der Umsetzung würden dazu führen, dass die Kosten deutlich steigen und entscheidende Technologien und Infrastrukturen nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Es komme darauf an, das Energiesystem als Ganzes im Blick zu behalten, langfristige Rahmenbedingungen zu gestalten, technologieoffene Anreize zu setzen, sektorübergreifende Instrumente zu entwickeln und Raum für Innovationen und neue Geschäftsmodelle zu schaffen. ESYS, BDI und dena empfehlen der Bundesregierung, noch in dieser Legislaturperiode das bestehende System an Steuern, Abgaben und Umlagen zu überarbeiten, um die erforderlichen Investitionen anzustoßen. Im Mittelpunkt einer solchen Reform sollten CO2-orientierte Preissignale für alle Sektoren stehen, auch für solche außerhalb des EU-Emissionshandels wie Wärme und Verkehr. Energiewende und Klimaschutz könnten damit zum wichtigsten Zukunftsprojekt für den Industriestandort Deutschland werden.

Stimmen von ESYS, BDI und dena

Prof. Dr. Eberhard Umbach, Mitglied des ESYS-Direktoriums: „Ein schneller Ausbau der Erneuerbaren ist eine grundlegende Voraussetzung, um das Energiesystem klimafreundlich und Strom zum dominierenden Energieträger zu machen. Dafür muss die Bundesregierung den Ausbaukorridor für Wind- und Solaranlagen auf mindestens sechs Gigawatt netto pro Jahr erhöhen und parallel den Netzausbau beschleunigen. Um die schwankende Stromerzeugung auszugleichen, braucht es vielfältige Technologien für kurzfristige Flexibilität – von Batterien in Elektroautos und Wärmepumpen über thermische Speicher und Power-to-X-Anlagen bis zum Demand-Side-Management. Dennoch kommt auch das Energiesystem der Zukunft nicht ohne Reservekapazitäten aus. Flexibel regelbare Gaskraftwerke und Gasturbinen müssen die Versorgung in allen Wetterlagen und zu allen Jahreszeiten sichern.“

Holger Lösch, stellvertretender BDI-Hauptgeschäftsführer: „Aufgrund des Billionenbedarfs an Mehrinvestitionen kommt es für einen erfolgreichen und effizienten Klimaschutz jetzt auf passgenaue Lösungen für die unterschiedlichen Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie an. Im Verkehrssektor werden Wirtschaft und Gesellschaft an die Grenzen der praktischen Umsetzbarkeit stoßen. Wir wollen individuelle Mobilität erhalten, dafür braucht es technologieoffene Lösungen. Im Gebäudesektor muss die energetische Sanierung schneller, umfangreicher und besser vorankommen. Dafür ist eine attraktive steuerliche Förderung der zentrale benötigte Impuls. Die Industrie muss bei Lösungen von heute noch nicht vermeidbaren Prozessemissionen unterstützt werden. Neue Verfahren müssen ab 2030 einsatzbereit sein und Carbon Capture Storage (CCS) wird aus heutiger Sicht für die Erreichung der ambitionierten Klimaziele eine erforderliche Ergänzung darstellen.“

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung: „Die integrierte Energiewende ist möglich. Die Bereitschaft für einen Aufbruch ist deutlich spürbar – bei den Unternehmen, aber auch in der Gesellschaft. Wenn Politik jetzt die Rahmenbedingungen entsprechend überarbeitet, das System an Steuern, Abgaben und Umlagen eindeutiger auf Klimaschutz ausrichtet und damit einen fairen Wettbewerb für CO2-sparende Technologien ermöglicht, wird das eine enorme Dynamik freisetzen. Dazu gehört auch der Aufbau eines Marktes für erneuerbare synthetische Energieträger – in Deutschland und global. Sie können die Lücke schließen, die nicht durch Energieeffizienz oder die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien abgedeckt werden kann. Darin sind sich alle drei Studien einig.“

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