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ESYS-Fachleute ordnen ein: Ist Wasserstoff das neue „Wundermittel“ der Energiewende?

22. November 2019

Wasserstoff gilt als Zukunftstechnologie. Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie will die Bundesregierung Deutschland zum globalen Vorbild machen. Doch was kann Wasserstoff wirklich im Energiesystem leisten? Wie wird der Energieträger hergestellt, in welchen Bereichen der Energieversorgung lohnt sich sein Einsatz, und aus welchen Ländern könnte Deutschland Wasserstoff importieren? Darüber diskutierten Fachleute des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundestags am 21. November bei der Veranstaltung „Energie.Wende.Punkte.“ im Deutschen Bundestag.

Ohne Zweifel wird Wasserstoff eine wichtige Rolle im Energiesystem der Zukunft einnehmen: Der Energieträger verbrennt schadstofffrei, ist vielseitig einsetzbar sowie gut speicher- und transportierbar. Doch welchen Beitrag kann das „Öl der Zukunft“ tatsächlich leisten, um das Energiesystem klimafreundlich zu machen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der ESYS-Informationsveranstaltung.

Berit Erlach, wissenschaftliche Referentin in der ESYS-Geschäftsstelle, erklärte zunächst, dass Wasserstoff heute hauptsächlich in der chemischen Industrie verwendet wird, zum Beispiel zur Erzeugung von Stickstoffdünger und Methanol. Zukünftig eröffne sich aber ein riesiges neues Einsatzfeld für Wasserstoff als klimafreundlichen Energieträger. Mittels Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien könne Wasserstoff klimaneutral erzeugt werden („grüner Wasserstoff“). Bisher wird Wasserstoff allerdings fast ausschließlich mittels Dampfreformierung aus Erdgas erzeugt („grauer Wasserstoff“) – dabei entsteht Kohlendioxid. Um Klimaschäden zu vermeiden, kann das Kohlendioxid abgeschieden und unterirdisch eingelagert werden. Dann spricht man von „blauem Wasserstoff“.  

Ansprechpartnerinnen


Anschließend ging Cyril Stephanos, stellvertretender Leiter der ESYS-Geschäftsstelle, darauf ein, wo im Energiesystem Wasserstoff gewinnbringend eingesetzt werden kann. Ein wichtiger Bereich sei der Industriesektor, da der Einsatz von Strom für Prozesse wie die Stahl- und Ammoniakherstellung nicht infrage käme. Aber auch im Verkehrssektor könnte Wasserstoff eine Schlüsselrolle einnehmen. Für die Kurzstrecke eigneten sich zwar eher Elektrofahrzeuge, da sie Strom aus erneuerbaren Energiequellen sehr effizient nutzen können. Aber mit Wasserstoff ließen sich beispielsweise Schiffe, Züge und Flugzeuge antreiben – entweder direkt als Brennstoff oder umgewandelt in synthetisches Methan und Kerosin.  

Auch wenn die Bundesregierung nun voller Kraft eine Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland aufbauen will, wurde in der Diskussion klar, dass Länder wie Japan oder China bereits einen Schritt weiter sind. Deutschland sei daher gefordert, nicht den Anschluss zu verlieren. Die ESYS-Fachleute betonten außerdem, dass Deutschland seinen Energiebedarf nicht allein aus heimischer Produktion wird decken können. Daher sei es erforderlich, Wasserstoff und weitere klimafreundliche Brenn- und Kraftstoffe aus anderen Ländern zu importieren.

Christoph Stemmler, wissenschaftlicher Referent bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, beschrieb die Möglichkeit, grünen Wasserstoff zum Beispiel aus Australien einzuführen. Er verwies auf die Erfahrungen, die eine deutsche Delegation vor wenigen Wochen im Austausch mit australischen Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft gemacht hat. Deutlich wurde, dass der großskalige Import von grünen Energieträgern lange Vorlaufzeiten benötigt und Deutschland deshalb frühzeitig auf die Etablierung von Wasserstoff-Partnerschaften angewiesen sein wird. acatech hat die Delegationsreise nach Sydney, Canberra und Melbourne gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) organisiert.

In der Diskussion mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Bundestags betonten die ESYS-Fachleute die Potenziale des Energieträgers und erklärten, wie wichtig eine internationale Zusammenarbeit auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft sei. Gleichzeitig stellten sie klar, dass sich Wasserstoff nicht für alle Bereiche des Energiesystems gleichermaßen eignet. Die politischen Weichen müssen bereits heute gestellt werden. „Wir rechnen damit, dass Wasserstoff frühestens ab dem Jahr 2030 im industriellen Umfang eingesetzt werden kann“, erklärte Cyril Stephanos. „Um Wasserstoff in Deutschland herstellen und nutzen zu können, muss aber schon jetzt viel passieren: Wir müssen in Anlagen und Infrastrukturen investieren und Partnerschaften mit anderen Ländern knüpfen. Pilotprojekte gibt es heute schon viele. Jetzt gilt es, Projekte im großen Maßstab anzugehen.“

Mit der Veranstaltungsreihe „Energie.Wende.Punkte.“ richtet sich ESYS gezielt an wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Mitgliedern des Deutschen Bundestages (MdBs) sowie an Fraktionsreferentinnen und -referenten. Ziel ist es, fundiertes Wissen zu aktuellen Themen der Energiepolitik und Energiewirtschaft bereitzustellen und Umsetzungsmöglichkeiten zu diskutieren.

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