Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gesprächs zum Thema Bioenergie © acatech/Strauß

acatech am Dienstag: Kann Bioenergie das Klima retten?

02. Oktober 2019

Bioenergie ist vielseitig einsetzbar und liefert in Deutschland mehr Energie als Wind- und Wasserkraft, Solarenergie und Geothermie zusammen. Aber vor allem Biokraftstoffe stehen wegen der Konkurrenz zur Lebensmittelerzeugung und ihrer schädlichen Umweltauswirkungen in der Kritik. Welchen Beitrag kann Bioenergie also tatsächlich zum Klimaschutz leisten? Darüber diskutierten Gernot Klepper (Institut für Weltwirtschaft Kiel), Markus Rarbach (Clariant) und Jenny Walther-Thoß (WWF Deutschland) am 1. Oktober bei der Dialogveranstaltung acatech am Dienstag in München auf Basis der Ergebnisse des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS).

Aus Biomasse lassen sich Strom, Wärme für Industrieprozesse und Kraftstoffe für den Verkehr herstellen. Wird das freigesetzte Kohlendioxid bei der energetischen Nutzung abgetrennt und unterirdisch gespeichert (Bioenergie mit Kohlendioxidabscheidung und -speicherung BECCS), kann Biomasse außerdem dazu beitragen, „negative Emissionen“ zu erzeugen und der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Ist Bioenergie also ein „Alleskönner“ im Energiesystem und eine Wunderwaffe für den Klimaschutz? Nein, betonen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), denn dafür sind die Biomassepotenziale viel zu gering. Grundlegende Voraussetzung ist daher, Biomasse möglichst systemdienlich einzusetzen – also überall dort, wo sie den größten Nutzen für das Energiesystem bietet In der Stellungnahme „Biomasse im Spannungsfeld zwischen Energie- und Klimaschutz. Strategien für eine nachhaltige Bioenergienutzung“ zeigen die Fachleute auf, unter welchen Bedingungen Bioenergie zum Klimaschutz beitragen kann.

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Ansatz: Vor allem Rest- und Abfallstoffe energetisch nutzen

Auf der Dialogveranstaltung acatech am Dienstag stellte der Co-Leiter der ESYS-Arbeitsgruppe Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel wesentliche Ergebnisse vor. Er betonte, Bioenergie allein könne das Klima nicht retten, aber einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. In Deutschland sollten vorwiegend Rest- und Abfallstoffe energetisch genutzt werden. Denn Deutschland importiert bereits heute große Mengen an Biomasse, unter anderem als Nahrungs- und Futtermittel. Werden mehr Biokraftstoffe aus Energiepflanzen eingesetzt, kann die steigende Nachfrage nach Biomasse zu negativen Landnutzungseffekten außerhalb Deutschlands führen.

Kurzfristig könnte Biomasse als Flexibilitätstechnologie dienen, zum Beispiel durch ihren Einsatz in effizienten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen. Mittelfristig sollten aus Biomasse vor allem Kraftstoffe für den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr produziert werden. Langfristig regt die ESYS-Arbeitsgruppe an, auch den Einsatz von BECCS zu prüfen und mitzudenken. Denn Klimamodelle zeigen, dass der Atmosphäre künftig CO2 entzogen werden muss, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. „Um BECCS nutzen zu können, brauchen wir einen Übergang von den heutigen, kleinen dezentralen Bioenergieanlagen zu industriellen Großanlagen, die sich mit CCS kombinieren lassen“, erklärte Gernot Klepper.

Markus Rarbach vom Spezialchemiekonzern Clariant umriss in seinem Impuls das Sunliquid-Verfahren, mit dem aus Stroh oder Zuckerrohr Bioethanol hergestellt wird. Im Prinzip, so Rarbach, funktioniere es ähnlich wie eine Brauerei. Er verwies auf die erste kommerzielle Anlage in Rumänien, in der Stroh aus einem Umkreis von etwa 70 Kilometern verarbeitet werde. Um genug Pflanzenreste für andere Zwecke, zum Beispiel den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, übrig zu belassen, wird nur etwa ein Viertel des Strohs von der Sunliquid-Anlage genutzt. Langfristig könne der Prozess mit CCS kombiniert werden, um negative Emissionen zu erzeugen.

Jenny Walther-Thoß von der Umweltschutzorganisation WWF drängte darauf, unser aktuelles Wirtschafts- und Lebensmodell grundsätzlich zu überdenken statt sich auf den „Nebenschauplatz“ Biokraftstoffe zu konzentrieren. Oberstes Ziel müsse sein, den Energiekonsum massiv zu reduzieren. Die anschließende Diskussion mit dem Publikum zeigte, dass die großen Fragen, wie wir unsere Zukunft gestalten, auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewegten. So wurde über Fleischkonsum, neue Mobilitätskonzepte und die Frage diskutiert, ob die Pariser Klimaschutzziele überhaupt erreichbar seien.

Der Beitrag von Bioenergie zur Energiewende

Gernot Klepper und Markus Rarbach versuchten, dennoch eine Lanze für die Biokraftstoffe zu brechen. Denn, so Klepper: „Selbst, wenn wir den Energieverbrauch um 80 Prozent reduzieren, müssen wir immer noch die restlichen 20 Prozent treibhausgasneutral abdecken“. Markus Rarbach argumentierte, dass die Verwendung von Bioethanol für Pkw nur ein erster Schritt sei, um Biokraftstoffe aus Reststoffen in den Markt zu bringen. Mit ersten praktischen Erfahrungen könne das Verfahren auch weiterentwickelt werden, um beispielsweise Flugbenzin herzustellen. Er kritisierte, die deutsche Politik setze zu stark auf nur einen Lösungsweg – die Elektromobilität –, obwohl Biokraftstoffe der kostengünstigstere Weg für eine CO2-neutrale Mobilität seien.

Alle drei Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass die energetische Verwendung von Rest- und Abfallstoffen grundsätzlich der richtige Ansatz für eine systemdienliche Bioenergienutzung sei. Frau Walther-Thoß befürchtet allerdings, dass Ökosysteme durch eine Übernutzung von Reststoffen gefährdet werden könnten, denn auf den Feldern verbleibendes Stroh sei wichtig zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit. Die Politik müsse daher durch entsprechende Regulierung sicherstellen, dass keine falschen Anreize gesetzt und Ökosysteme ausreichend geschützt werden.

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