acatech Präsident Reinhard F. Hüttl erläuterte bei der Senatsveranstaltung die Rolle des Menschen als Geofaktor. © acatech/David Ausserhofer

acatech Senat diskutiert über Energiewende

27. Juni 2014

Der Senat von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften hat in seiner jährlichen Sitzung am 27. Juni 2014 im Auditorium der Allianz SE in München die Chancen und Herausforderungen der Energiewende diskutiert. Wie lässt sich die Versorgungssicherheit trotz schwankender Energieeinspeisung aus Wind- und Solarkraft gewährleisten? Werden die Bürgerinnen und Bürger den Weg der Transformation mitgehen? Und wie stellen wir sicher, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland global wettbewerbsfähig bleibt? Die 65 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft führten die Perspektiven unterschiedlicher Branchen und wissenschaftlicher Disziplinen auf diese Fragen zusammen und zeichneten ein vielschichtiges Bild der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Energiewende.

acatech Präsident Henning Kagermann berichtete nach der Einführung durch den Senatsvorsitzenden Ekkehard D. Schulz und einem Grußwort von Emilio Galli Zugaro, Leiter der Unternehmenskommunikation der Allianz SE, über die Akademieprojekte der vergangenen zwölf Monate: Mit fünfzehn Fachveranstaltungen und fünf Positionspapieren wandte sich acatech an Politik und Öffentlichkeit. Zugleich koordiniert acatech Multi-Stakeholder-Plattformen wie die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE), das Nationale MINT Forum (mit MINT Zukunft schaffen), das Akademienprojekt Energiesysteme der Zukunft sowie das Forschungsforum Energiewende. Derzeit bereitet acatech den sechsten Innovationsdialog zwischen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft vor.

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In seinem Einführungsvortrag erläuterte acatech Präsident Reinhard F. Hüttl, dass der Mensch zu einem Geofaktor geworden ist, der das komplexe System Erde beeinflusst. Weltraumbasierte Erdsystembeobachtungen liefern hier neue Erkenntnisse. Zwar beeinflussen Klimaveränderungen wie Eis- und Warmzeiten die Erde seit jeher auf natürliche Weise. Aber der Mensch beschleunige den Wandel: Treibhausgasemissionen aus Industrie und Haushalten wirken auf Klima, Landwirtschaft und Städtebau, verändern Böden und beeinflussen die Artenvielfalt. Zugleich erfahren unkonventionelle Ressourcen wie Schiefergas einen Boom in einzelnen Weltregionen und Öl wie Kohle reichen länger als zunächst angenommen. Nach den Worten von Reinhard F. Hüttl muss die Energiewende deshalb grenzüberschreitend sein – mit klaren politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine deutsche Energiewende verpufft, wenn in Nachbarländern die Kernenergie weiter genutzt werde und neue Kohlekraftwerke gebaut würden.

acatech Mitglied Robert Schlögl, Direktor des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft, verwies auf die außergewöhnliche Komplexität des Energiesystems, dessen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft beachtet werden müssen. Derzeit werde jedoch versucht, an vielen Stellen zu verändern, ohne die systemischen Auswirkungen im Blick zu behalten. Dies sei nur logisch, da die Energiewende aus diversen, sich teilweise widersprechenden Einzelzielen vom Klimaschutz bis zur Versorgungssicherheit bestehe.

acatech Mitglied Ferdi Schüth, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, erläuterte, dass die Ausgangssituation für die Energiewende aufgrund des umfassenden Regelungsgeflechts des Energiesystems widersprüchlich und komplex ist. So definiert der europäische Emissionshandel zwar den Preis für eine Tonne CO2 und die Obergrenze für den Ausstoß an Treibhausgasen, spart jedoch kein CO2 ein, da die Emissionen lediglich in andere Länder verschoben würden. Dagegen fördere das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Eine auf Deutschland begrenzte Energiewende könne den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen jedoch nicht reduzieren.

Peter Blauwhoff, Vorstand der Deutsche Shell Holding, betonte, dass die Kosten der Energiewende deutlich höher seien als von der Politik erwartet und angekündigt. Auch gebe das EEG keine Impulse für die Reduktion der CO2-Emissionen. Er forderte, die Akzeptanz für die Energiewende durch innovative Anwendungen und den effizienten Einsatz von Finanzmitteln, zum Beispiel für den Bau von umweltfreundlicheren, aber teureren Gaskraftwerken zu fördern. Zudem sollte Deutschland die erneuerbaren Energien nicht dauerhaft subventionieren. Ein Neustart der europäischen Energiepolitik sei notwendig.

Abschließend betonte acatech Senator Andreas Kreimeyer, Mitglied des Vorstandes der BASF SE, dass die Kosten der Energiewende für die Wirtschaft ein wichtiger Faktor sind, da sich bei steigenden Energiepreisen Wettbewerbsnachteile ergeben. Der globale Energiebedarf steige, während der Anteil erneuerbarer Energien stagniere. Je länger und teurer die Energiewende für Industrie und Verbraucher werde, desto eher ergäben sich Standortnachteile für Deutschland. Die Chemieindustrie sieht laut den Worten von Andreas Kreimeyer in den kommenden zehn Jahren größere Risiken als Chancen durch die Energiewende.

Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Im Forschungsforum Energiewende bringen acatech, das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) Potsdam und die Max-Planck-Gesellschaft deshalb Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Energiewende zu entwickeln. 2022 geht das letzte deutsche Kernkraftwerk vom Netz, die Treibhausgasemissionen sollen gesenkt werden und erneuerbare Energien mittelfristig einen wesentlichen Teil des Energieverbrauchs decken. Die Energieversorgung von Privathaushalten und Betrieben soll weiterhin gewährleistet sein und bezahlbar bleiben. Das Akademienprojekt Energiesysteme der Zukunft leistet hier einen wichtigen Beitrag und entwickelt Handlungsoptionen zu den rechtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie den technologischen Möglichkeiten der Energiewende.

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