Ohne Rohstoffe keine Energiewende: ESYS-Deep Dive zeigt künftige Bedarfe, Lieferabhängigkeiten und Handlungsspielräume auf

05. April 2022

Für den Bau von Windkraft- und Solaranlagen, intelligenten Stromnetzen oder E-Autos wird eine Vielzahl an Metallen benötigt. Der Bedarf an metallischen Rohstoffen wächst also mit Voranschreiten der Energiewende. Zugleich ist die Situation auf dem globalen Rohstoffmarkt angespannt – und dies nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. Für viele wichtige Rohstoffe kontrollieren einige wenige Länder den Markt. Wie hoch wird der Bedarf an Rohstoffen künftig sein? Was sind potenzielle Engstellen im globalen Handel? Und welche Implikationen bringen internationale Wertschöpfungs- und Lieferketten mit sich?

Diese Fragen diskutierten Expert*innen in einem ESYS-Deep Dive am 05. April. Als Impulsgeber*innen zu Gast waren Franziska Maisel, Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM, und Peter Buchholz von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA).

Erwarteter Rohstoff-Bedarf übersteigt heutige Fördermengen

Franziska Maisel stellte in ihrem einleitenden Impuls einen Teil aus der Studie „Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2021“ vor. Die Studie ermittelt Zukunftsszenarien zu künftigen globalen Rohstoffbedarfen bis 2040 anhand verschiedener Parameter wie der Bevölkerungsentwicklung, der Klimapolitik sowie der Entwicklung von Wissenschaft und Technologien. Am Beispiel von Lithium-Ionen-Batterien im Bereich Elektromobilität sowie Windkraft-Anlagen machte Franziska Maisel deutlich, dass entlang der gesamten Lieferkette Abhängigkeiten von einzelnen Lieferländern bestehen. Die EU produziert zum Beispiel nur 1% aller Batterierohstoffe. Gleiches gilt für den Bau von Windrädern – auch hier stammen nur 1% der benötigten Rohstoffe aus der EU. Besonders die Versorgung mit Seltenen Erden bewertete die Impulsgeberin als problematisch.

Kritische Rohstoffe durch andere zu substituieren und Recycling zu stärken, beschrieb Franziska Maisel als wichtige Schritte einer Lösungsstrategie, um Rohstoffe für die Energiewende nachhaltig zu nutzen und zu sichern. Bislang sei Recycling aufgrund fehlender wirtschaftlicher Rentabilität industriell allerdings für viele Metalle noch nicht ausreichend etabliert. Darüber hinaus sei es wichtig, das Second Life von Produkten zu fördern, um die Rohstoffe länger im Kreislauf zu halten. Aber Recycling alleine reicht nicht, um den steigenden Bedarf an Metallen zu decken. Daher sollten auch neue Primärquellen in der EU erschlossen werden sowie neue Technologien zur Rohstoffgewinnung entwickelt werden.

Hohe geologische Verfügbarkeit, aber zu geringe Fördermengen

In seinem Impuls beschrieb Peter Buchholz die Entwicklungen auf den internationalen Rohstoffmärkten und Zusammenhänge internationaler Wertschöpfungsketten. Zwar seien geologisch genügend Rohstoffe vorhanden, doch die Förderkapazitäten würden aktuell nicht ausreichen, um den Weltmarkt mit der benötigten Menge zu versorgen. Deshalb könne das Angebot mit der derzeit stark steigenden Nachfrage nicht schnell genug Schritt halten. Dies betreffe nicht nur die Primär-, sondern auch die Sekundärproduktion sowie alle Stationen der Wertschöpfungskette. Aus diesem Grund sei es für die Industrie wichtig, nicht nur ihre Zulieferer im Blick zu halten, sondern auch die Entwicklung auf den Primärrohstoffmärkten.

Als zentrale Hürde beschrieb er die langen Bauzeiten, bis ein Bergbauprojekt oder eine Metall-Raffinerie betriebsfähig ist – im Bergbau müsse man hier mit 10 bis 15 Jahren rechnen, für eine Raffinerie mit fünf bis acht Jahren. Der Bau entsprechender Infrastrukturen muss deshalb frühzeitig angestoßen werden, um die Rohstoffe dann zur Verfügung zu haben, wenn man sie benötigt. Darüber hinaus brauche es erhebliche Investitionen in Form von Risikokapital insbesondere im Bereich der Rohstoffexploration.

Als weitere Schwierigkeit skizzierte er die Marktkonzentration auf einzelne Länder, denn das Rohstoffvorkommen ist global ungleich verteilt. Laut DERA-Rohstoffliste 2021 steht allein China heute etwa bei 40 Prozent der Bergwerksproduktion global an Platz 1, bei der Raffinadeproduktion sind es rund 90 Prozent. Die Rohstoffförderung in Europa zu intensivieren, kann die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern abmildern. Allerdings seien die förderwürdigen geologischen Rohstoffvorkommen in Europa begrenzt. Rohstoffimporte und der Ausbau metallurgischer Standorte seien daher auch weiterhin unverzichtbar.

Metallische Rohstoffe: Ein bisher vernachlässigter Erfolgsfaktor

Lange ging man davon aus, dass die Energiewende Importabhängigkeit stark reduzieren würde, weil vorrangig lokale Wind- und Sonnenenergie genutzt werden. Die für den Bau der Anlagen benötigten Metalle blieben in den Betrachtungen oft außen vor. Der Deep Dive zeigte deutlich, dass der Rohstoffbedarf mit den Bemühungen um Klimaneutralität global weiter steigen wird und es nun eine gute, längerfristig gedachte und vielfältige Strategie braucht, um die Nachfrage in den kommenden Jahren decken zu können.

Neue Quellen für Primärrohstoffe zu erschließen, das Recyclingpotenzial von Abfallströmen zu nutzen und kritische Rohstoffe möglichst materialsparend zu verwenden seien einige der möglichen Hebel. Darüber hinaus müssten aber auch Finanzierungsfragen für den Bau neuer Bergbauprojekte und Metall-Raffinerien geklärt werden. Wer trägt das mit ihnen verbundene finanzielle Risiko? Inwieweit sollte der Staat die Privatwirtschaft bei der Rohstoffsicherung unterstützen? Und wie kann man schnell auf mögliche Preissprünge und Lieferengpässe reagieren? Nicht zuletzt müssten auch Umwelt- und Sozialstandards geprüft und global durchgesetzt werden.

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