Steckt Deutschland in einer Gaskrise?

Durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich auch der deutsche Gasmix verändert: Russische Gaslieferungen entfallen größtenteils und müssen ersetzt werden. Im Jahr 2022 hat sich das deutlich in den deutschen Energiepreisen niedergeschlagen.

Für uns ein Anlass, aufzuklären: Warum waren die Gas- und Strompreise 2022 so hoch? Wie werden sie sich in Zukunft entwickeln? Könnte es in Zukunft zu Gasengpässen kommen? Und welche Folgen hat diese Situation für den Klimaschutz?

Steckt Deutschland in einer Gaskrise?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Welt erschüttert. Durch die hohe Abhängigkeit Deutschlands und der EU von russischen Energieimporten waren die Folgen des Krieges in Form hoher Energiepreise auch hierzulande unmittelbar zu spüren. Doch warum genau sind die Energiepreise gestiegen? Wie könnten sie sich in den nächsten Jahren entwickeln? Und was können wir tun, um bestmöglich durch diese Situation zu kommen und den Klimaschutz nicht aus den Augen zu verlieren?

Entwicklung der Gas- und Strompreise

Warum war der Gaspreis 2022 so hoch?

Als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sanken die deutschen Gasimporte aus Russland 2022 um mehr als die Hälfte. Seit September 2022 liefert Russland gar kein Gas mehr nach Deutschland. Dieser große Anteil musste durch Gaslieferungen aus anderen Ländern ausgeglichen werden. Gleichzeitig führte der Lieferausfall zu einem geringeren Angebot auf dem Weltmarkt, da Russland das Gas, das durch Pipelines nach Europa transportiert wird, nicht ohne Weiteres anderweitig verkaufen konnte – dadurch stiegen die Preise.

Das war aber nicht der einzige Grund für die hohen Gaspreise. Sie waren schon im Vorfeld des Ukraine-Kriegs gestiegen, da die Nachfrage nach Erdgas wuchs. In China stieg der Bedarf besonders stark, weil das Land von Kohle auf Gas umsteigen möchte, um seine CO2-Emissionen zu senken. In Deutschland steigen die Gas-, Öl- und Kohlepreise auch aufgrund der CO2-Bepreisung. Der Effekt ist aber bisher vergleichsweise sehr gering.

Warum war der Strompreis 2022 so hoch?

Der durchschnittliche Börsenstrompreis stieg 2022 gegenüber dem Vorjahr auf mehr als das Doppelte. Eine Ursache hierfür findet sich in der sogenannten „Merit Order“. Diese bedeutet, dass der Börsenstrompreis sich nach den Produktionskosten des letzten zur Deckung des Bedarfs benötigten Kraftwerks richtet. Gaskraftwerke haben in der Regel die höchsten Produktionskosten für Strom. Deshalb werden sie nur bei Bedarf zugeschaltet. Durch die Gasmangellage stieg der Gaspreis 2022 nochmals an, was die Produktionskosten für Strom aus Gaskraftwerken weiter erhöhte. Deshalb stieg auch der Börsenstrompreis für die Zeiträume stark an, in denen der Einsatz von Gaskraftwerken zur Deckung des Strombedarfs notwendig war. Etwa die Hälfte des jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland wird jedoch nicht kurzfristig an der Strombörse, sondern über langfristige Lieferverträge gehandelt („Terminmarkt“). Auch hier stiegen die Preise deutlich an.

Die Preise für die Haushaltskunden sind im zurückliegenden Jahr um etwa ein Drittel gestiegen. Der Preisanstieg fällt damit deutlich geringer aus als an der Strombörse. Dies liegt daran, dass viele Energieversorger langfristige Lieferverträge haben, die noch vor den enormen Preissteigerungen abgeschlossen worden sind. Die aktuellen Preiserhöhungen schlagen sich damit nur zeitverzögert auf die Verbrauchspreise nieder.

Wie entwickelt sich der Gaspreis in Zukunft?

Die Entwicklung des Gaspreises ist schwer vorherzusagen, da viele Faktoren sie beeinflussen. Für die Jahre 2026 und 2030 besteht laut Analysen des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln das Risiko, dass sie weiterhin über dem Durchschnittsniveau von 2021 liegen (etwa 50 Euro pro Megawattstunde). Damit werden sie auch langfristig Haushalte und Unternehmen belasten. Preisspitzen wie im zurückliegenden Jahr von mehr als 100 Euro pro Megawattstunde sind jedoch unwahrscheinlich für 2026 und 2030.

Auch für 2023 und 2024 könnten die Preise verhältnismäßig hoch bleiben. Dies betrifft nicht nur die Gaspreise, sondern auch Kohle-, Öl- und vor allem Strompreise. Stromsparendes Verhalten rechnet sich dann noch immer für die Verbraucher – ob Industrie oder Privatperson.

Gasimporte aus Russland und ein möglicher Gasengpass

Wie viel Gas importiert Deutschland aus Russland?

Russland war über viele Jahre der wichtigste Erdgaslieferant für Deutschland. Im Jahr 2021 stammten etwa 55 Prozent des hierzulande verbrauchten Gases aus Russland. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat sich die Zusammensetzung des deutschen Gasmixes deutlich verändert: Im Jahr 2022 stammten lediglich 22 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs aus Russland. Seit September 2022 liefert Russland gar kein Gas mehr nach Deutschland.

Auch auf EU-Ebene ist der Anteil an russischem Gas deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2021 stammten etwa 40 Prozent des in der EU verbrauchten Erdgases aus Russland. Dieser Anteil ist im Jahr 2022 auf unter 25 Prozent gesunken. Im November 2022 stammten nur noch 13 Prozent der europäischen Gasimporte aus Russland.

Wann wäre ein Gasengpass in Deutschland oder Europa denkbar?

Engpässe in der Erdgasversorgung drohen vor allem kurzfristig. Neben dem verringerten Angebot an Erdgas auf dem Weltmarkt könnte in den kommenden Monaten auch eine steigende Nachfrage nach Flüssigerdgas durch China die mögliche Engpasssituation in Europa verschärfen. Insbesondere im Winter 2023/24 könnte dann ein Gasengpass drohen: Berechnungen zeigen, dass fehlende oder ungenügende Gas-Infrastrukturen in der EU dazu führen könnten, dass in Hochlastzeiträumen nicht der gesamte Erdgasbedarf gedeckt werden könnte. Hochlastzeiträume sind Kälteperioden, die in Wintermonaten regelmäßig auftreten.

Was könnten Deutschland und Europa tun, um einen Gasengpass zu vermeiden?

Deutschland und Europa sind recht gut durch den Winter 2022/23 gekommen: Ein deutlicher Rückgang der Erdgasnachfrage und ein vergleichsweise milder Winter haben dazu geführt, dass es bisher nicht zu Engpässen in der Versorgung kam.

Für die kommenden Winter kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem Gasengpass kommen könnte. Um das Risiko zu minimieren, wird es wichtig sein, dass Privatpersonen und Industrie weiterhin Gas sparen. Darüber hinaus kommt es darauf an, die Gasinfrastrukturen aus- und umzubauen. Hier geht es zum einen darum, Importmöglichkeiten für Erdgas durch den Bau zusätzlicher LNG-Terminals zu schaffen. Zum anderen sollte die Pipeline-Infrastruktur in der EU so ausgerichtet werden, dass die Flüsse in den Pipelines umgekehrt werden (Reverse-Flow). Dies ist wichtig, da Erdgas nicht mehr aus Russland importiert wird und von Ost nach West transportiert werden muss, sondern in zunehmendem Maße an westeuropäischen LNG-Terminals angelandet wird und von hier aus ostwärts innerhalb Europas verteilt wird.

Sämtliche Maßnahmen sollten in enger europäischer Zusammenarbeit angegangen werden. Dabei spielt Deutschland eine Doppelrolle. Einerseits ist es stark auf Importe aus anderen europäischen Ländern angewiesen. Andererseits trägt es Verantwortung für die gesamteuropäische Gasversorgung, weil es ein wichtiges Transitland ist und viel Gas speichern kann.

Welchen Beitrag können Privatpersonen leisten, wenn sie weniger heizen?

Private Haushalte können einen enormen Beitrag leisten, indem sie weniger Gas verbrauchen. Denn Haushalte in Deutschland verbrauchen etwa ein Drittel des hierzulande eingesetzten Erdgases direkt. Sie gehören damit – gemeinsam mit der Industrie – zu den größten Gasverbrauchern in Deutschland.

Die Bundesregierung hat dazu bereits verschiedene Maßnahmen beschlossen. Zusätzlich sind freiwillige Einsparungen wichtig, zu denen die derzeitig hohen Preise ohnehin motivieren. Im Übrigen ist Gas sparen auch in der warmen Jahreszeit wichtig, um die Gasspeicher für den Winter zu füllen.

Woher bekommt Deutschland jetzt sein Gas?

Russland liefert seit September 2022 kein Gas mehr direkt nach Deutschland. Die ausbleibenden Mengen wurden durch zusätzliche Importe aus Norwegen, Belgien, den Niederlanden und südlichen Ländern kompensiert. Übers gesamte Jahr betrachtet standen russische Gaslieferungen so lediglich noch für 22 Prozent der deutschen Erdgasimporte – im vorherigen Jahr 2021 lag dieser Anteil noch bei etwa 55 Prozent. Norwegen löste Russland als wichtigsten deutschen Erdgaslieferanten ab und lieferte 2022 etwa ein Drittel des nach Deutschland importierten Erdgases.

In den Jahren 2026 und 2030 wird laut einer Berechnung russisches Gas vorrangig durch Importe aus den USA ersetzt. Norwegische und nordafrikanische Gasquellen bleiben wichtig. Diese Länder können aber ihren Export in die EU kaum erhöhen, weil sie weniger produzieren. Im November 2022 hat Deutschland zudem einen Gasliefervertrag mit Katar abgeschlossen: Laut diesem sollen bis 2041 jährlich bis zu zwei Millionen Tonnen Flüssigerdgas geliefert werden – dies entspricht etwa drei Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs im Jahr 2022.

Biomethan, das in der EU erzeugt wird, kann ebenfalls eine Alternative sein. Auch vor diesem Hintergrund beabsichtigt die Europäische Kommission, mehr Biomethan in der EU zu produzieren. Die Erzeugung soll von etwa 3 auf 35 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2030 steigen. Außerdem kann Erdgas, das in der EU gefördert wird, die Importe teilweise ersetzen. Dafür müsste die Erdgasförderung ausgeweitet werden, das ist aber aus ökologischer und wirtschaftlicher Sicht umstritten.

Auswirkungen auf die Klimaziele

Was bedeutet es für die Klimaziele, wenn Erdgas kurzfristig durch Kohle ersetzt wird?

Wird mehr Kohle verstromt, um Erdgas zu substituieren, setzt das mehr Emissionen frei. Berechnungen deuten darauf hin, dass die deutschen Treibhausgasminderungsziele für die Energiewirtschaft im Jahr 2030 verfehlt werden, wenn viel Strom nachgefragt wird und der Ausbau der erneuerbaren Energien nur langsam vorangeht.

Zugleich sorgt aber der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) dafür, dass die europäischen Emissionsreduktionsziele im Stromsektor garantiert erfüllt werden: Der EU-ETS funktioniert nach dem Prinzip des sogenannten „Cap & Trade“. Das bedeutet, dass eine Obergrenze („Cap“) festlegt, wie viele Treibhausgasemissionen durch die emissionspflichtigen Anlagen des Stromerzeugungssektors (z. B. Kohlekraftwerke) ausgestoßen werden dürfen. Diese Emissionsberechtigungen können auf dem Markt frei gehandelt werden („Trade“). Die Emissionsobergrenze („Cap“) kann jedoch nicht ausgeweitet werden. Würden deutsche emissionspflichtige Anlagen mehr Emissionsberechtigungen am Markt kaufen, stiege der Preis. Durch die erhöhten Kosten hätten Stromerzeugungsanlagen in anderen Ländern einen Anreiz, ihren Strom weniger CO2-intensiv zu erzeugen.

Hierbei sollte berücksichtigt werden: Die höheren Preise belasten Industrie und Privatpersonen. So könnte gesellschaftlicher und politischer Druck entstehen, CO2-Preise zu senken oder den Emissionshandel auszusetzen. Dies sollte aus klimapolitischer Sicht unbedingt vermieden werden.

Was kann die Politik für Versorgungssicherheit und Klimaschutz tun?

Die Politik sollte in erster Linie den Ausbau der erneuerbaren Energien ambitioniert vorantreiben. Denn: Windräder und Solarmodule helfen nicht nur bei der Erreichung der Klimaziele, sondern auch dabei, sich von Lieferländern fossiler Energieträger unabhängiger zu machen. Der Bau von Erneuerbaren-Energie-Anlagen hat zudem einen preisdämpfenden Effekt auf die Stromgroßhandelspreise. So ergeben sich Synergieeffekte zwischen Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz. Doch auch darüber hinaus müssen zeitnah viele Maßnahmen angestoßen werden: So müssen unter anderem der CO2-Preis weiter steigen und CO2-Entnahmetechnologien gesellschaftlich diskutiert und in die Anwendung gebracht werden, um unvermeidbare Emissionen auszugleichen.