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Die Energiewende gemeinsam gestalten – aber wie?

29. September 2016

Mindestens 80 Prozent weniger CO2-Ausstoß gegenüber 1990, Ausbau der erneuerbaren Energien auf 60 Prozent am Gesamtbedarf, Halbierung des Energieverbrauchs gegenüber 2008: Um diese Ziele bis zum Jahr 2050 zu erreichen, müssen alle gesellschaftlichen Gruppen einen Beitrag leisten. Auch Bürgerinnen und Bürger sind gefordert, damit etwa der Netzausbau vorankommt und mehr Gebäude gedämmt werden. Doch wo fördert Mitsprache die Akzeptanz, wo behindert sie die Entscheidungsfindung? Welche Maßnahmen helfen Verbraucherinnen und Verbrauchern dabei, Energie zu sparen, welche bevormunden sie? Was kann die Wissenschaft beitragen, wen kann sie einbinden? Diesen Fragen widmete sich das Diskussionsforum „Energie.System.Wende.“ des Akademienprojekts ESYS am 29. September in Berlin.

Bürgerinnen und Bürger wollen in energiepolitische Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Gleichzeitig bringen organisierte Akteure ihre Sichtweisen ein: Unternehmen und Verbände, NGOs und Gewerkschaften sowie Bund, Länder und Kommunen. Im ersten Teil der Veranstaltung diskutierten Karl Eugen Huthmacher (Abteilungsleiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung), Holger Lösch (Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie) und Gesine Schwan (Präsidentin der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform), wie diese unterschiedlichen Positionen gegeneinander abgewogen werden können und in welcher Form Stakeholder die Energiewende mitgestalten sollten. Außerdem gingen sie der Frage nach, wie Wissenschaft dieser Perspektivenvielfalt Rechnung tragen kann. Die Diskutierenden waren sich darin einig, dass alle Wissensbestände – auch die aus der Praxis – einbezogen werden müssen, um die Energiewende zum Erfolg zu führen. „Die Wissenschaft muss wissen, was die Gesellschaft umtreibt. Das geht nur im Austausch mit allen beteiligten Gruppen“, sagte etwa Karl Eugen Huthmacher.

Ansprechpartnerin

Im zweiten Teil der Veranstaltung präsentierte Mark Andor vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Zwischenergebnisse der Stellungnahme „Verbraucherpolitik für die Energiewende“, die Ende dieses Jahres veröffentlicht werden soll. Darin werden Maßnahmen vorgestellt, mit denen Verbraucherinteressen gestärkt und Verhaltensänderungen erleichtert werden sollen. Ein Ansatz dabei ist das sogenannte Nudging. Das Konzept stammt aus der Verhaltensökonomik und zielt darauf ab, Bürgerinnen und Bürger durch sanftes „Anstupsen“ zu einem bestimmten Verhalten anzuregen. Sehen sie auf ihrer Stromrechnung beispielsweise, wie viel Energie Haushalte in ihrer Nachbarschaft nutzen, kann dies dazu führen, dass sie selbst motivierter sind, Energie einzusparen. Ein weiteres Beispiel sind Energielabels für Haushaltsgeräte: Durch die kompakte Aufbereitung von Informationen zum jeweiligen Gerät sollen Verbraucherinnen und Verbraucher angeregt werden, mehr in energieeffiziente Produkte zu investieren.

Anschließend diskutierten Peter Dabrock (Vorsitzender des Deutschen Ethikrates), Johanna Kardel (Referentin beim Verbraucherzentrale Bundesverband), Andreas Löschel (Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“) und Christian Noll (Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz) über den möglichen Beitrag der Verbraucher zur Energiewende. Immerhin wird ein Viertel der Endenergie in Deutschland von Privathaushalten verbraucht. Bisherige Maßnahmen seien jedoch oft nicht effizient genug, um Verbraucher zum Energiesparen anzuregen. Dazu müssten sie stärker auf die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zugeschnitten werden, lautete eine These. Die Diskutierenden setzten sich auch mit der Beteiligung der Verbraucher am Lastmanagement auseinander. Indem Bürgerinnen und Bürger ihre Nachfrage flexibel auf das Angebot ausrichten, leisten sie einen Beitrag zur Stabilisierung des Versorgungssystems. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sie ihren Stromverbrauch durch intelligente Stromzähler, sogenannte Smart Meter, von außen fernsteuern lassen. Im Sommer wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Einbau dieser Stromzähler ab 2017 für Haushalte mit einem bestimmten Energieverbrauch vorschreibt. Johanna Kardel kritisierte unter anderem, dass die Ausstattung mit Smart Metern stets freiwillig erfolgen müsse, um auch die Akzeptanz der Endverbraucher zu gewährleisten. Darüber hinaus bemängelte sie, dass mögliche Stromeinsparungen die Mehrkosten für den Einbau in der Regel nicht ausgleichen würden.

Das Diskussionsforum „Energie.System.Wende. Wie gelingt das Gemeinschaftswerk?“ war Teil der zweitägigen Jahresveranstaltung des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), einer gemeinsamen Initiative von acatech – Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Am morgigen 30. September finden vier Fachworkshops statt, in denen künftige Themen des Akademienprojekts weiterentwickelt werden. Im Fokus stehen Infrastrukturen, das Zusammenspiel zentraler und dezentraler Elemente der Energieversorgung, die Verteilung von Kosten und Gewinnen sowie die deutsche Energiewende im internationalen Vergleich.

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