Visualisierung der Energiewende. © acatech 2019

Fair, effektiv, transparent – Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme in der Energiepolitik geben

28. März 2019

Die aktuellen Bürgerinitiativen und Klimaschutzdemonstrationen zeigen: Bürgerinnen und Bürger wollen die Energiewende mitgestalten und sich in Planungs- und Entscheidungsprozesse einbringen. Doch wie müssen Kommunikations- und Partizipationsverfahren für eine effektive, faire und sozialverträgliche Energiewende gestaltet werden? Das Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) hat in seiner Analyse „Partizipation und Kommunikation in der Energiewende“ verschiedene Instrumente untersucht. Die Autorinnen und Autoren empfehlen, Bürgerinnen und Bürger zu „Alltagsexperten“ zu machen, Mindeststandards für deren Beteiligung festzulegen und unabhängige Energiemediatorinnen und -mediatoren zur Verhandlungsschlichtung auszubilden.

Weltweit demonstrierende Schülerinnen und Schüler für mehr Klimaschutz, Bürgerinitiativen gegen den Bau von Windparks und Stromtrassen, Beschwerden von Anwohnern über Energieinfrastrukturprojekte – die Liste der Proteste und Widerstände gegen energiepolitische Entscheidungen ist lang. Umso wichtiger ist es, die Bevölkerung in den Umbau der Energieversorgung einzubeziehen. „Die Energiewende verändert den Alltag von Bürgerinnen und Bürgern. Bei Entscheidungen über neue Technologien, Anlagen oder Netze muss die Politik zwischen konkurrierenden Zielen und Werten abwägen. Nur wenn ihre Lösungsansätze sachorientiert, nachvollziehbar und angemessen sind, wird die Bevölkerung die Energiewende unterstützen. Dafür brauchen wir einen frühzeitigen, transparenten Dialog mit allen Beteiligten“, erklärt Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS Potsdam). Er hat die Arbeitsgruppe „Partizipation und Kommunikation“ in dem von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der Akademien der Wissenschaften initiierten Projekt „Energiesysteme der Zukunft“ geleitet.

Ansprechpartnerinnen

Beteiligungsverfahren sind ein Mittel, um zu Kompromissen zu kommen, die von möglichst vielen betroffenen Menschen akzeptiert werden. Sie unterscheiden sich zum einen nach dem Grad der Mitwirkung: Sollen die Bürgerinnen und Bürger lediglich informiert werden, sollen sie eigene Vorschläge einbringen oder sogar aktiv mitgestalten? Zum anderen ist die Entscheidungsebene ausschlaggebend: Je nachdem, ob sich die Prozesse auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene abspielen, gibt es unterschiedliche Beteiligungsmöglichkeiten. Die ESYS-Fachleute haben in ihrer Analyse alle Ebenen untersucht. Die Publikation zeigt Möglichkeiten auf, um Betroffenen durch Partizipationsangebote eine Stimme in der politischen Willensbildung zu geben.

Für eine gerechte Energiewende empfehlen die Autoren, breite Schichten der Bevölkerung einzubinden. Organisierte Interessensgruppen sind dafür ungeeignet, weil sie nur einen kleinen Teil der Betroffenen repräsentieren. Um einen Querschnitt der Bevölkerung zu erreichen, sollten die Teilnehmenden daher per Los aus der Einwohnermeldekartei ausgewählt werden. „Das Losverfahren bezieht alle Bevölkerungsschichten mit ein – so entsteht ein heterogenes Meinungsbild. Die Ausgewählten werden zu Alltagsexperten, die nicht vordringlich Interessen als Betroffene vertreten, aber die Sachlage dem Allgemeinwohl verpflichtet bewerten“, beschreibt Bettina Oppermann die Vorteile des Verfahrens. Die Professorin am Institut für Freiraumentwicklung an der Leibniz Universität Hannover ist neben Ortwin Renn Herausgeberin der ESYS-Analyse.

Ein weiterer Vorschlag zielt darauf ab, Bürgerinnen und Bürger verstärkt in Plattformen und „Runde Tische“ zum Austausch von Daten und Wissensbeständen einzuladen. Die ESYS-Fachleute empfehlen außerdem, alle Planungsprozesse klar und verständlich zu gestalten, damit auch Laien diese nachvollziehen können.

Für ein angemessenes Vorgehen bei Energieplanungsprozessen schlagen die Autoren vor:

  • Der Aufbau unabhängiger Institutionen wie Bürgerfonds oder Vermittlungsagenturen kann dazu beitragen, Mindeststandards für die Bürgerbeteiligung festzulegen, um deren Qualität zu sichern. Finanziert werden könnten diese durch die Energiewirtschaft oder über Kooperationen.
  • Neutrale Vermittlerinnen und Vermittler tragen dazu bei, effiziente und verhältnismäßige Lösungen zu erzielen. Mit den Mitteln aus einem Fonds könnten unabhängige Energiemediatorinnen und -mediatoren ausgebildet werden, die in Verhandlungen zwischen Konfliktparteien schlichten.
  • Um Bürgerinnen und Bürger anzuregen, energiesparende Investitionen zu tätigen, muss die Städtebauförderung vorausschauend planen. Indem bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt wird, können einzelne Bevölkerungsgruppen von den Kosten der Energiewende entlastet werden.

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