Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion im Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft © acatech/Witte

Lange Nacht der Wissenschaften: (Was) tanken wir morgen?

17. Juni 2019

Zu hohe Emissionen, steigender Energieverbrauch: Der Verkehrssektor bleibt das Sorgenkind der Energiewende. Geht es weiter wie bisher, erreicht Deutschland die für 2020 vorgesehenen Klimaziele im Verkehr nicht einmal bis 2030. Dieses Fazit zieht die Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ in ihrer neuen Stellungnahme. Doch wie wird die Mobilität klimafreundlich? Welche Antriebe und Kraftstoffe eignen sich, und wie können wir Verkehr vermeiden und verlagern? Darüber diskutierten Energie- und Mobilitätsfachleute bei einer Veranstaltung des Fritz-Haber-Instituts und des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) zur Langen Nacht der Wissenschaften am 15. Juni in Berlin.

Der Endenergieverbrauch im Verkehr ist 2017 zum fünften Mal in Folge gestiegen. Um die im Klimaschutzplan 2050 festgeschriebenen Ziele zu erreichen, muss der Verkehrssektor seine Emissionen bis 2030 um 42 Prozent gegenüber heute senken. Gefragt ist ein Technologiemix, aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft. Welche Technologien sind denkbar, was sind deren Vor- und Nachteile, und inwiefern muss sich unser Mobilitätsverhalten ändern? Darüber diskutierten Felix Creutzig (Technische Universität Berlin), Berit Erlach (ESYS-Geschäftsstelle), Andreas Knie (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung), Martin Neumann MdB (FDP-Bundestagsfraktion) und Robert Schlögl (Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft) am 15. Juni im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin. Das Akademienprojekt ESYS hat die Podiumsdiskussion gemeinsam mit dem Fritz-Haber-Institut veranstaltet.

Robert Schlögl betonte zu Beginn, in der Debatte nicht nur an die persönliche Mobilität zu denken – auch der Transport von Waren sei entscheidend. Hier könnten synthetische Kraftstoffe einen wichtigen Beitrag leisten. Dafür könne die bestehende Infrastruktur an Tankstellen und Verbrennungsmotoren weitergenutzt werden. „Wir müssen in der Energiewende so viel neu erfinden. Daher sollten wir überall dort, wo es schon geeignete Lösungen gibt, diese auch einsetzen“, erklärte der Chemiker. Daran knüpfte der Bundestagsabgeordnete Martin Neumann an: Die Energiewende müsse viel stärker als Rohstoffwende begriffen werden. Bei allen neuen Technologien müsse zudem sichergestellt werden, dass diese von der Bevölkerung akzeptiert werden. Hierfür brauche es intelligente und faire Lösungen.

Ansprechpartnerinnen


Weniger besitzen, mehr teilen
Felix Creutzig wies darauf hin, dass Elektroautos im Personennahverkehr mittlerweile fast wettbewerbsfähig seien, nur die Batterien seien noch zu teuer. Um die Klimaziele zu erreichen, sei es jedoch erforderlich, weniger Autos zu nutzen und Fahrzeuge viel stärker zu teilen. Das sei nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch wirtschaftlicher. Dem pflichtete Andreas Knie bei. Studien zeigen, dass Autos zu 94,8 Prozent der Zeit herumstehen. Zugleich verwies er auf die strengen Regularien, die eine Verbreitung des Carsharings, aber auch die Nutzung emissionsarmer Verkehrsmittel erschweren. „Wir müssen aus dem Regulierungskorsett der 50er Jahre herauskommen. Gerade in Großstädten wie Berlin gibt es so viele Möglichkeiten, den Verkehr neu zu denken und dadurch Emissionen zu senken. Diese müssen wir uns aber auch gönnen“, so der Soziologe.

Biokraftstoffe können alternative Antriebe ergänzen
Berit Erlach, wissenschaftliche Referentin in der Geschäftsstelle „Energiesysteme der Zukunft“, ordnete die Bedeutung der Biokraftstoffe für die Mobilität der Zukunft ein. „Prinzipiell sind Biokraftstoffe geeignet, um Flugzeuge, Schiffe und Laster anzutreiben. Der Anbau von Energiepflanzen kann aber weltweit zur Abholzung von Wäldern führen, daher sollten diese Kraftstoffe besser aus Rest- und Abfallstoffen hergestellt werden. Aufgrund der begrenzten Menge können sie synthetische Kraftstoffe nur ergänzen, nicht ersetzen“, fasste die Energietechnikerin zusammen.

Fliegen ist besonders klimaschädlich – Anreize und Umdenken erforderlich
Die Expertinnen und Experten loteten aus, wie der wachsende Flugverkehr klimafreundlich werden kann. Auch hier sei das bisherige System der größte Hemmschuh – Fliegen sei etwa viel günstiger als Bahn fahren. Andreas Knie forderte daher, innerdeutsche Flüge zu verbieten. Berit Erlach pflichtete ihm bei: „Fliegen ist das Klimaschädlichste, was wir tun können. Der weltweit steigende Flugverkehr sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr frisst daher Klimafortschritte in anderen Bereichen auf.“ Robert Schlögl betonte die Bedeutung von Geschäftsflügen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Bundesregierung müsse internationale Lösungen für einen sauberen Luftverkehr finden und könne nicht im Alleingang handeln.

Brauchen wir Verbote im Verkehr?
Die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer vertraten unterschiedliche Meinungen, ob Verbote für einen klimafreundlichen Verkehr notwendig seien. Felix Creutzig forderte, den Verkauf neu zugelassener Autos mit Verbrennungsmotor ab 2025 zu verbieten. Auch Andreas Knie betonte, ohne Verbote könne kein Umdenken im Verkehr stattfinden. Er plädiert für ein Verbot innerdeutscher Flüge. Martin Neumann hingegen war der Auffassung, Verbote lösen das Klimaproblem nicht. Stattdessen sei eine breite Diskussion zu klimaschonenden Alternativen erforderlich. Robert Schlögl sah Verbote als letzte denkbare Option an. Gefragt seien vielmehr ein systemischer Ansatz und schnelles Handeln bei verfügbaren emissionsarmen Technologien. „Es dauert Jahrzehnte, eine neue Technologie auszurollen. Wenn wir in den nächsten fünf Jahren nicht damit beginnen, schaffen wir unsere Ziele bis 2050 niemals“, so Robert Schlögl.

Felix Creutzig listete ein ganzes Maßnahmenbündel auf, um den öffentlichen Nahverkehr zu stärken – von fahrradsicheren Wegen über den Ausbau des Schienenverkehrs bis zu intelligenten Carsharing-Modellen. Indem die Schnittstellen zwischen Stadt und Land stärker genutzt werden, könne die Lebensqualität sowohl in Ballungszentren als auch in ländlichen Regionen steigen. „Wir müssen es einfach machen!“ Dem stimmte das Publikum zu – das Engagement und die Forderungen der protestierenden Jugendlichen sollten von der Politik schnellstmöglich zum Anlass genommen werden, die Vorschläge aus der Wissenschaft umzusetzen.

Weitere Informationen