Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachgesprächs Digitalisierung © acatech/Witte

Wie kann Digitalisierung bei der Energiewende helfen, ohne selber zum Problem zu werden?

26. September 2019

Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind für das Gelingen der Energiewende unabdingbar. Ein zu unbedarfter Einsatz birgt jedoch auch Gefahren, etwa steigt das Risiko von Stromausfällen. Welche Entwicklungen zum Problem werden können und welche Lösungen für ein sicheres digitalisiertes Energiesystem notwendig sind, diskutierten Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft beim Fachgespräch „Resilienz digitalisierter Energiesysteme – wie können Blackout-Risiken im Stromsystem begrenzt werden?“ des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) am 19. September in Berlin.

Die Energiewende verändert die Stromversorgung in Deutschland und Europa. Die Stromproduktion verlagert sich zunehmend von großen, zentralen Kraftwerken zu kleineren, dezentralen Erzeugern wie Solar- oder Windkraftanlagen. Auch die Stromnutzung ändert sich: Effiziente Wärmepumpen heizen elektrisch, Elektroautos werden als Zwischenspeicher für Energie genutzt werden. Das wirkt sich grundlegend auf die Stromnutzung und Stromvernetzung aus. Zugleich werden immer Geräte über das Internet kommunikativ vernetzt, ein Trend, der sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird. Durch diese zunehmende Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität – die sogenannte Sektorenkopplung – steigt der Bedarf an neuen Möglichkeiten, das Stromnetz stabil zu halten. Geräte und Anlagen müssen in Störfällen mit den Stromnetzbetreibern kommunizieren können. Denn zusammengenommen entspricht die Leistungsmenge allein der Solaranlagen in Deutschland über 50 Großkraftwerken. In Notfällen müssen diese also mindestens zum Teil heruntergeregelt werden können.


Wie müssen digitale Energieinfrastrukturen vor diesem Hintergrund gestaltet werden, um sowohl sicher als auch sichernd zu sein? Erste Lösungsansätze hat die ESYS-Arbeitsgruppe „Resilienz digitalisierter Energiesysteme“ im Fachgespräch mit Expertinnen und Experten diskutiert. Christoph Mayer, Co-Leiter der Arbeitsgruppe und Bereichsleiter Energie am OFFIS – Institut für Informatik erläutert, dass neben Betreibern von Kraftwerken auch vermehrt andere Akteure sicherheitsrelevant werden. „Wenn Sie als Betreiber einer Plattform die Fernwartung von Hunderttausenden Geräten übernehmen und Ihre Plattform gehackt wird, ließe sich dadurch im schlimmsten Fall ein deutschlandweiter Blackout herbeiführen. Der Plattformbetreiber ist dann genauso systemrelevant wie ein Kraftwerksbetreiber, aktuell ist jedoch nur Letzterer durch Regularien zur IT-Sicherheit betroffen.“ Für Gert Brunekreeft, Co-Leiter der AG und Professor für Energieökonomik an der Jacobs University Bremen, müssen Anreize und Vorschriften sich ergänzen, um netzdienliches und sicherndes Verhalten zu befördern. „Bis zu einem gewissen Grad kann ein für alle Akteure nützliches Verhalten wie etwa das Zulassen von Eingriffen durch Netzbetreiber mit Anreizen gefördert werden. Jedoch sind auch neue Vorschriften notwendig, wenn Akteure im Markt keine wirtschaftlichen Anreize haben, Maßnahmen gegen nur selten eintretende Schadensereignisse zu ergreifen.“

Weitere Herausforderungen, die diskutiert wurden, sind die Fehlbedienung von und Sicherheitslücken in Geräten. Dadurch könnte ein Eingreifen in Notfällen nicht immer möglich sein. Im schlimmsten Fall entsteht daraus ein Einfallstor für kriminelle Absichten, die ab einer bestimmten Größenordnung das Energiesystem beeinflussen. Die Vernetzung vieler neuer, kleiner Akteure im Stromsystem mit der digitalen Ebene der IKT erhöht auch die Abhängigkeiten und Komplexität im Stromsystem. Vorhersagen bei Störereignissen zu treffen wird immer schwieriger.

Zur Lösung dieser Probleme tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über verschiedene Ansätze aus. Wie ergänzen sich dezentrale und zentrale Ansätze für eine Absicherung und Steuerung im Notfall? Die Zuständigkeiten zwischen Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber müssten unter diesem Aspekt neu geprüft werden. Auch werden die Hersteller von Geräten mehr Verantwortung für die Sicherheit des Stromsystems übernehmen müssen. Standardisierte Schnittstellen und Möglichkeiten der zentralen Erneuerung von Betreibersoftware sollten gemeinsam mit der europäischen Industrie geplant werden. Zertifizierungen hierfür sollten einerseits die sichernden Funktionen gewährleisten, dürfen jedoch durch langwierige Prozesse den Markteintritt und die Innovation nicht ausbremsen.

Handlungsoptionen für politische Entscheidungsträger will die ESYS-Arbeitsgruppe „Resilienz digitalisierter Energiesysteme“ in einer Stellungnahme Anfang kommenden Jahres veröffentlichen.